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zwischen den rillenDie Grenzen der Elektronika: Lesser und BS 2000

Leuchtende Augen

Das scheppert und rüttelt, rumort und klimpert, quietscht und rumpelt, lärmt und quiekt, quakt und grunzt, lacht und singt, zischelt und zwitschert, pispelt und fispelt. Aber: Songs? Melodie? Rhythmus? Struktur? Fehlanzeige. Wenn das Ende nah ist, dann dürfte dies der Soundtrack dazu werden. „Gearhound“ heißt das neue Album des kalifornischen Experimental-Sample-Artisten Lesser. Sollte es symptomatisch für das Genre sein, dann ist die elektronische Musik an Grenzen gestoßen, die diesmal nicht so leicht weiter ins Unbekannte verschoben werden dürften. Einziges erkennbares Prinzip: das Überraschungsmoment. Sollte irgendein Zuhörer Musik als Wohlfühlwolke kennen, wird er hier jedenfalls von ihr vertrieben.

Nicht verleugnen kann Lesser, der bürgerlich Jay Dserck heißt und auch unter den Pseudonymen Backfire, 157, LSR oder DJ 40 Year Old Woman produktiv ist, seine Punk-Vergangenheit. Sie schlägt sich auf „Gearhound“ zwar kaum im Klangbild nieder, denn von ein paar Rückkopplungen abgesehen werden klassische Punkrock-Sounds nicht verwendet. Wo selbst in den Charts mittlerweile gerne krachende Gitarren gesampelt werden, stützt sich Lesser allein auf den Geräuschmüll, wie ihn der Alltag und die üblichen Soundfiles so zu bieten haben. Aber durch den Rechner gejagt und fünfmal mit der Moulinette verschnitten entstehen Kompositionen, die fieser und verstörender klingen, als es selbst die Sex Pistols hinbekommen hätten, wären sie zu Lebzeiten von Queen Victoria aufgetaucht.

In „Then“, einem unstrukturierten Knistern, erscheint wie eine Fata Morgana ein kurzer Orgelton, abrupt hineingeschnitten, als hätte nur mal jemand aus Versehen die falsche Aufnahmetaste gedrückt. Fortan wartet man so lange vergeblich auf die Wiederkehr dieses Tons, dass man an der eigenen Wahrnehmung zu zweifeln beginnt. So wie man beständig auf der Suche ist nach einem rhythmischen Muster, das sich aber nur in seltenen Fällen auftreiben lässt. Irgendwie schafft es Lesser sogar, die mathematischen Strukturen, die sonst in der kopflastigen Ecke der Elektronika vorherrschen, zu umgehen. Was bleibt, sind Klänge, die scheinbar beziehungslos nebeneinander stehen – das muss man erst mal absichtlich hinkriegen.

So könnte man „Gearhound“ sicher leicht als vertonte Flatulenz abtun. Man kann sich aber auch drauf einlassen und fortan über die eigenen Hörgewohnheiten nachdenken. Das Ergebnis einer Platte wie „Gearhound“ ist nicht unbedingt, dass man fortan nur mehr vollkommen strukturlosen Super-Free-Electronicjazz hören möchte, sondern vor allem der, dass man altbekannte Musik plötzlich neu hören kann.

Wenn das Ausweiten der Grenzen selbst an Grenzen stößt, warum sollte man sich dann überhaupt die Mühe machen? Das dachten sich wohl Adam Horovitz alias Ad Rock von den Beastie Boys und sein Kumpel Amery Smith alias Awol. Prompt gründete man das Seitenprojekt BS 2000 und hielt sich gar nicht erst lange auf mit der Suche nach Samples oder Songideen.

Auf „Simply Mortified“, dem zweiten Album von BS 2000 nach ihrem raren Vinyl-only-Debüt, kann man nun hören, dass doch auch schön ist, was die Hersteller in so einen Casio oder eine Farfisa-Orgel schon ab Werk alles reingesteckt haben, die so genannten Preset-Sounds nämlich. Zwei, drei Schalter umgelegt, dann halbwegs koordiniert in die Tasten gehauen und ein bisschen mitgesungen, fertig ist die lustige Swingpunk-Party. Hier wird der Dalai Lama zu Paulchen Panther.

Die Hälfte der Tracks wären vorzüglich geeignet als Erkennungsmelodien für Serien des Kinderkanals, der Rest klingt wie die Beastie Boys auf Lachgas. Man nehme sich bloß nicht zu wichtig, lustig, lustig, tralala. Das könnte einem ganz schön auf die Nerven gehen, und das tut es mitunter auch. Aber dann setzt ein ähnlicher Effekt ein wie bei den Beasties, wenn die sich mal wieder in ihrem Punkgegröle verlieren: Irgendwie machen die doch immer alles richtig, man muss nur genau hinhören und ein bisschen dran glauben. Am Ende hat das doch Charme und man kriegt leuchtende Augen, dass einen die eigenen Kinder ganz seltsam anblicken: Was der Alte immer hat, wenn er so komische Musik hört!

„It’s fun here on the rollercoaster/ I saved you a place“ wird in „Wait A Minute“ versprochen. Und tatsächlich: Mehr als Spaß sollte man von dieser Achterbahnfahrt nicht erwarten, den angebotenen Platz aber durchaus dankend einnehmen.

THOMAS WINKLER

BS 2000: „Simply Mortified“ (Grand Royal/ Labels/ Virgin) Lesser: „Gearhound“ (Matador/ Zomba)

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