zwischen den rillen: In der Auslaufrille: Aphex Twin, Techno-Messias a. D.
Der Offenbarungseid
Um es gleich vorwegzunehmen: Sie ist es nicht geworden. Die neue Platte von Richard D. James aka Aphex Twin (aka tausend weitere Akas mehr), dem Messias der elektronischen Popmusik, ist keine weitere Prophezeiung geworden, die man erhören muss, um glauben zu können. Um glauben zu können, dass es in der nächsten Zeit doch noch mal was wird mit der Erneuerung der elektronischen Musik, die im dauernd neu angefachten Fegefeuer des Achtziger-Revivals vor sich hinschmort. Man muss es sogar so sagen: Die lang erwartete neue Aphex-Twin-Platte, die gleich eine Doppel-CD mit 30 Tracks geworden ist, bietet absolut nichts Neues. Und von einem wie Aphex Twin erwartet man ja keine Schwelgereien in Acidhouse, Breakbeat, Drill & Bass, kein Aufköcheln all dieser immer wieder durchexerzierten Sounds, serviert mit einer neuen Gewürzmischung. Sondern etwas Neues.
Richard D. James ist resigniert, das sagt er selbst. All die Jahre, in denen er all den anderen immer einen Schritt voraus war und einen signature sound nach dem anderen kreierte, haben an seiner Substanz gezehrt. So klingt er jetzt lieber gleich altbacken – statt darauf zu warten, dass ihn die Flut der Kopisten einen Moment später alt klingen lässt.
„Drukqs“ ist ein Alterswerk, so komisch das angesichts einer Musik auch klingen mag, die mal wieder ziemlich durchgeknallt ist. Doch plötzlich stellt man fest, dass Richard D. James nicht „erst“ dreißig Jahre alt ist, sondern „schon“. Er, das Wunderkind, der Mozart des Techno, zu dem ihn der Melody Maker vor Jahren gekürt hat, ist schon dreißig Jahre alt. Es ist nun allerdings nicht so, dass man einen großen Helden entsetzt beim Fall beobachten müsste, eher zuckt man mit den Achseln. Denn „Drukqs“ ist keine schlechte oder gar unhörbare Platte, überhaupt nicht, sie ist nur – und bei dieser Feststellung muss man dann doch fast einen dicken Kloß im Hals herunterschlucken: Sie ist belanglos.
Und belanglos war Aphex Twin früher nie, das ganz bestimmt nicht. Vor gut zehn Jahren erschien sein erster Track „Analogue Bubblebath“ und läutete die Neunziger ein. Das ganze Jahrzehnt lang blieb er die bestimmende Größe der elektronischen Musik, auch wenn er gerade nichts produzierte.
Für all das, was Techno sein sollte, stand auch Aphex Twin in irgendeiner Form. Und setzte allem immer noch eins drauf. Das mit Techno aufgekommene Spiel mit den variablen Identitäten probierte er durch, indem er anfangs der Gesichtsloseste von allen war, um dann später eifrig seine Fratze auf alles zu blenden, das ihm unter die Finger kam. Künstlerische Freiheiten besorgte er sich, indem er selbst ein Label gründete, Rephlex, das bis heute unter allen abgefahrenen Labels als das abgefahrendste gilt. Durch all seine Winkelzüge und Antikommerz-Attitüden ist Richard D. James dabei zu einem Millionär geworden, bei dem man aber immer noch mitdenken muss: trotz allem.
Keiner hat es durch Totalverweigerung bei gleichzeitiger Produktion von wild um sich rankenden Mythen so weit gebracht wie er, die bizarren Anekdoten über ihn sind Legion: Schon als Kind hat er damit begonnen, seine Maschinen umzulöten, einmal hat er als DJ Schmirgelpapier aufgelegt – und die Leute haben getanzt. Er hat einen Panzer im Garten stehen, und The Face meint sogar „er fährt einen Panzer“.
So wurde er in den Neunzigern zum Säulenheiligen eines damals noch „intelligent techno“ genannten Genres. Mit „Selected Ambient Works II“ und „I Care Because you do“ schuf er dessen Klassiker, und mit Hilfe der Clips seines Kumpels Chris Cunningham, der für „Come To Daddy“ und die HipHop-Parodie „Windowlicker“ bahnbrechende Albtraumclips schuf, wurde er schließlich zum Popstar. Allein „Windowlicker“ verkaufte sich 300.000-mal, für Techno-Verhältnisse ist das geradezu obszön viel. Richard D. James hätte sich nun also gut zur Ruhe setzen können. Oder nach Anrufen von Madonna und Björk Auftragsarbeiten für unverschämtes Geld abliefern können. Und eigentlich hieß es auch eine Zeit lang, D. James hätte endgültig genug von der Musik. Doch dann, so erzählt er, hatte er in einem Flugzeug seinen MP3-Player voller noch unveröffentlichter Aphex-Twin-Tracks liegen lassen. Mal gibt er an, mit 180 Tracks, mal, mit 282 Tracks. Und bevor die jemand ins Internet stellen würde, wollte Aphex Twin lieber noch selber ein paar Pfund dazuverdienen. Außerdem gab es noch Verträge einzuhalten: Seiner Plattenfirma schuldete er noch einen Strauß von Platten, doch durch die neue Doppel-CD hat er sich nun von derartigen Verpflichtungen freigekauft.
„Drukqs“ ist also gegen Napster und für seine Plattenfirma gemacht. So etwas kann kaum gut gehen. Und als ob D. James sich selbst nicht mit der Platte identifizieren könnte, wird es diesmal weder eine Single noch ein Video zur Platte geben.
Aber was hätte man auch auskoppeln sollen? Groß unterscheiden sich die einzelnen Tracks nicht voneinander: Es gibt extreme Klirrelektronik galore, Kabelbrandsounds, das ganze Programm ausufernder Übertreibung, auf das man wieder nur mit hilflosen Superlativen wie „brutalstmöglich“ reagieren kann und damit so ins Leere läuft wie diese Art von Musik inzwischen selbst. Zwischendrin findet sich zwar immer wieder Abwechslung in Form akustischer Tranquilizer, an Erik Satie angelehnte Plinkerstückchen auf dem präparierten Klavier. Doch diese lassen sich MTV noch weniger zumuten als die elektronischen Querschläger.
Im Interview mit The Face listet Aphex Twin eine Liste seiner bevorzugten Drogen auf: Grass, Mushrooms, Kaffee, Tee, Ventolin, Aspirin, in dieser Reihenfolge. Eindrucksvoll. Doch den Titel seiner Platte, „Drukqs“, möchte er nicht in Verbindung mit Drogenkonsum betrachtet wissen. Aphex Twin ist wirklich ein Langweiler geworden.
ANDREAS HARTMANN
Aphex Twin: Drukqs (Warp/Zomba)
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