zwischen den rillen: Weltumarmungspop: 1 Giant Leap, Refugee Voices
Globale Gefühlskosmen
Treffen sich zwei gelangweilte Popmusiker auf einer Party. Sagt der eine zum anderen: „Ich liebe ‚My Life in the Bush of Ghosts‘ von David Byrne und Brian Eno.“ „Ich auch“, sagt der andere, begeistert vom niveauvollen Einwurf. „Und es passt mit seinen globalen Gefühlswelten so schön zu Peter Gabriels Soundtrack zum Film ‚The Last Temptation of Christ.‘ “ Aufgeregt rührt der Erste nun nicht mehr nur im Cocktailglas, sondern auch im großen Marco-Polo-Pool der Weltenbummler- Ideen. „Lass uns doch unsere Digitalspielzeuge einpacken“, schlägt er vor, „ein halbes Jahr um den Globus reisen und den Weltpop auf den Stand des 21. Jahrhunderts bringen.“
Was wie ein Musikerwitz klingt, wurde zur Mission für den Produzenten Duncan Bridgeman und Jamie Catto, dem Mitbegründer des DJ-Projekts Faithless. Für ihr Ethno-Safari-Projekt „One Giant Leap“ filmten und produzierten die beiden so ziemlich alles, was ihnen innerhalb ihrer Halbjahresreise durch Australien, den Senegal, Ghana, Nepal oder Indien vor die digitale Linse oder ins portable Minidisc-Studio lief. Das Ergebnis präsentieren sie nun auf einer CD/DV, die so schick, so pompös, so bilderreich anmutet wie ein Werbeclip für jene portablen Aufnahmegeräte, die diese Arbeitsweise erst ermöglichen.
Doch 1 Giant Leap beansprucht auch Tiefgang: In zwölf Kapiteln will das Projekt die Welt anhand von Schlagwörtern wie Sex, Tod und Geld erklären. Dank Minidisc und Sampler ist es nämlich nicht nur möglich, dass Michael Stipe ein schönes Duett mit der Bollywoodkönigin Asha Bhosle singt. Nein, ein Sarangivirtuose aus Indien kann auch zu einem Beat spielen, den zuvor ein Trommler in Ghana aufgenommen hat. Das bringt eine Menge für die Weltgewandtheit des Albums. Für die meisten Musiker indes bringt das relativ wenig, werden sie doch reduziert auf dem Rang eines live eingespielten Humansamples in einer Musik, die so westlich und in der Behandlung ihrer Themen so ethnotouristisch bleibt wie der Viervierteltakt, auf dem die meisten Songs basieren.
Ein drängenderes Anliegen steht dagegen hinter einer Platte, die sich ebenfalls der Popmusik als global verständlichem Vehikel bedient: „Refugee Voices: Building Bridges“ ist der Titel eines vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) initiierten Albums, das von Westafrikas Superstar Youssou N’Dour betreut wurde. Elf afrikanische Musiker, die aus ihren Heimatländern fliehen mussten, trafen sich bei ihm im Senegal, um Songs über Flüchtlingsschicksale aufzunehmen. Songs, die Anklage erheben gegen den Krieg und gegen patriarchalische, tribalistische Gesellschaften, denen es zuzuschreiben ist, dass der Kontinent nie zur Ruhe kommt. „Ich hoffe, unser Elend dient nicht als Unterhaltung in eurer Welt“, singt der in Sierra Leone geborene, nach Belgien geflüchtete Bai Kamara Jr. und fasst damit in einfachen Worten die komplexe Situation vieler Flüchtlinge zusammen: Innen- und Außenblick auf die Heimat, die Hilflosigkeit des Zuschauenmüssens und die Wut über das bloße Beobachtetwerden.
Natürlich weiß gerade Youssou „7 Seconds“ N’Dour, dass man dem westlichen Popohr entgegenkommen muss, wenn man Aufmerksamkeit will. Doch weil hinter der musikalischen Weltumarmungsstrategie der Refugee Voices ein sehr viel konkreteres Anliegen steht als bei 1 Giant Leap, hat selbst das Kitschige eine Berechtigung – als Transportmittel, nicht als Ornament.
Im Umkehrschluss soll das natürlich nicht heißen, dass nur Künstler ihre Stimme erheben dürfen, die Flüchtlingselend, Genozid oder Flutkatastrophen erlebt haben. Aber es darf doch gern ein bisschen mehr sein als Klangtourismus auf der Grundlage von Trance-Grooves. Sonst gerät das durchaus ehrenwerte Bemühen um musikalische Vielfalt in einer anglozentristischen Welt bald zum schlechten Musikerwitz, der damit anfängt, dass sich zwei Popkids auf einer Party treffen und Mittel gegen die Langeweile suchen.
BJÖRN DÖRING
1 Giant Leap: 1 Giant Leap (Palm Pictures/Zomba); Refugee Voices: Building Bridges (UNHCR/Warner SM)
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