zwischen den rillen: Offclubbing mit Underworld und Nightmares On Wax
Song-Raver und Zen-Boys
Hat eine Gruppe der Nachwelt einen Klassiker hinterlassen, sind die Erwartungen gegenüber den nachfolgenden Alben meist so hoch, dass Enttäuschungen nicht ausbleiben. Sowohl Underworld als auch Nightmares On Wax haben in der jüngeren Geschichte der Popmusik Wegmarken gesetzt, die das Gefühl ihrer Zeit so nachhaltig auf den Punkt gebracht haben, dass sie noch heute von ihrem Ruf als Innovatoren zehren – auch wenn sie inzwischen alles andere als wegweisend sind.
Eine der wenigen überlebenden Bands aus dem euphoriegetränkten „Summer Of Love“ und der darauf folgenden Explosion von House-Musik sind Underworld aus London. Wie bei Prodigy, Fatboy Slim, Daft Punk und den Chemical Brothers verdankt die Techno-Formation es dem Einsatz von Vocals, dass sie über die Mikrokosmen der Dance Culture hinaus einige Ohrwürmer im kulturellen Langzeitgedächtnis platzieren konnten. Die urbanen Lyrikfragmente von Underworld-Schamane Karl Hyde haben die Sehnsucht und Melancholie klassischer Popmusik mit der unwiderstehlichen Funktionalität tribalistischer Stampf-Beats in die Charts und Stadien der Mega-Raves getragen.
Zu Superstars wurden Underworld, als sie zum Film „Trainspotting“ das Titelstück beisteuerten und damit den Soundtrack für das beschleunigte Leben von Wochenend-Ravern lieferten. Keine andere Platte hat die Reise von hymnischen Kollektiverfahrungen über den isolierten Post-Party-Hangover mitten in den neuen Mainstream der digitalen Welt so treffend festgehalten wie ihr Album „Second Toughest In The Infants“ von 1996. „Beaucoup Fish“ von 1999 glich nach diesem Pillenklassiker nur mehr einer Pflichterfüllung, die ihr Erfolgsrezept noch gigantischer ins Millennium brachte.
Nach der Trennung von DJ Darren Emerson knüpfen die beiden verbleibenden Mitglieder nun wieder an die Offenheit ihres Debüts von 1994 an. „A Hundred Days Off“ präsentiert sich als freie Spielwiese der Elder Statesmen der Dance Music. Karl Hyde und Rick Smith testen ein paar Ausfahrten vor der künstlerischen Sackgasse, in die sie unersättliche Tanzflächen und die stilistische Redundanz der geraden Bassdrum im Laufe ihrer fast zehnjährigen Karriere geführt haben. So bewegen sich die neuen Stücke ungewohnt ruhig in Ambient- und Downtempo-Strukturen hin zu kontemplativen Popsongs. Das Neuland des Songwritings, das sich hier durchaus gekonnt andeutet, betreten Underworld allerdings zu zögerlich, als dass von einem weiteren Meilenstein die Rede sein kann. Immer noch dominiert ihr energetischer Trademark-Sound aus staffelndem Dance-Track-Aufbau, sehnsüchtigem Gesang, deepen Flächen und Godzilla-Bässen, die sich dicht verwoben und stilsicher entlang der Koordinaten Dub, Disco und Kraftwerk entfalten.
Auch die Geschichte von Nightmares On Wax aus Leeds beginnt Anfang der Neunzigerjahre, als der wild durchmischte House des George Evelyn die leer stehenden Lagerhallen der niedergegangenen nordbritischen Industrie beschallte. Seine Bleeps & Clonks kamen 1991 auf dem stilbildenden Indie-Elektronik-Label Warp (bekannt auch durch Aphex Twin und Squarepusher) heraus und fingen den multiversalen Geist der Stunde ein.
Doch schon mit dem Nachfolgealbum kehrte Evelyn der Tanzfläche den Rücken zu und war von da an eher im Chill-out-Room anzutreffen. Die künstlerische Bewegung ging einerseits zurück zu Evelyns Wurzeln im Soul und HipHop, andererseits nach Innen. „Smoker’s Delight“ heißt der längst totgehörte Klassiker der verkifften Mittneunziger. Die instrumentalen Downtempo-Beats wurden unsinnigerweise TripHop getauft und Nightmares On Wax zu einem der Vorboten von Home-Cocooning und Lounge-Listening erklärt.
Über zwei Alben hat Evelyn eine Version von Soul-Musik gezüchtet, die sich nicht am cluborientierten, britischen Entwurf von Soul II Soul orientiert, sondern den HipHop-geprägten, US-amerikanischen Weg geht. Dass ihm die Amis dabei einiges an Tradition voraus sind, offenbart die insulare Gefälligkeit der Gute-Laune-Musik auf seinem neuen Album. Wie die Schaumkrone eines Latte Macchiato dekorieren hübsch daherplätschernde Melodien keimfreie Beats aus der Vergangenheit. Und trotz des nach Spiritualität schreienden Albumtitels „Mind Elevation“ trödeln die teilweise besungenen Titel derart uninspiriert an der Wahrnehmungsgrenze herum, dass sich das dritte Auge schlafen legt. Einzig auf dem Stück „Know My Name“ schimmert ein Hauch der Soul-Power à la Jackson 5 durch, wie sie Evelyn vorgeschwebt sein mag, bevor er in esoterischen Nebeln entschwand. UH-YOUNG KIM
Underworld: „A Hundred Days Off“ (V 2); Nightmares On Wax: „Mind Elevation“ (Warp/Zomba)
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