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zwischen den rillenTLC und Tony Braxton geben ihre letzte Vorstellung

Erdbeerschweiß forever

Mädchenbands sind blöd: Nie spielen sie Instrumente, nie ist ein nichtkörperliches Objekt im Einsatz, dass vom Fetisch Frau ablenkt, nie schreiben sie ihre Songs selbst, immer sind sie gezwungen, schön auszusehen.

Mädchenbands sind super: In jeder ist eine dabei, mit der man sich identifizieren kann. Wenn es etwas gibt, wofür sie ganz und gar stehen, dann ist es das Prinzip Freundin. Und wenn es sich bei der Mädchenband dann auch noch um TLC handelt, ist man vollends gewillt, alle Vorurteile von wegen Künstlichkeit und männlichem Blick, Musikindustrie und Fremdbestimmung unter den Teppich zu kehren. TLC waren mit ihrer eingängigen und zugleich experimentierfreudigen Zusammenführung von HipHop, R ’n’ B und Pop, mit ihren mehr als 27 Millionen verkauften Alben, eine der erfolgreichsten und besten, weil verwegensten und hedonistischsten Girlgroups der Neunzigerjahre.

Zum zehnjährigen Geburtstag der Band ist nun ihr viertes und vermutlich letztes Album „3D“ erschienen – es steht ganz im Zeichen des tragischen Unfalltods des dritten und wichtigsten Bandmitglieds Lisa „Left Eye“ Lopes. Obwohl Left Eye während der Aufnahmen zu diesem Album starb, entschlossen sich die verbliebenen Tionne „T-Boz“ Watkins und Rozonda „Chilli“ Thomas nicht nur, das Album fertigzustellen, sie entschieden sich auch, aus ihm keine sentimentale Abschiedsplatte zu machen. „Left Eye would want us to break it down“: Ein Partyalbum für ein Partygirl, so, wie sie es gewollt hätte, die quirligste und kreativste der drei, die wildeste, die der Band die knalligsten Raps lieferte und für Schlagzeilen sorgte, indem sie das Haus ihres Freundes anzündete.

Wie seit je geht es TLC um die Feier des Moments, der guten Laune, des Lebens als intensiver Glücksrausch, in dem Mädchenschweiß auch am Morgen danach noch nach Erdbeeren duftet, in dem man sich von Sekt und Pralinen ernähren kann, ohne fett zu werden, und Liebeskummer nie so schlimm ist wie ein Streit mit der besten Freundin. Millionen Mädchen werden ermuntert, an ihren Träumen und Sehnsüchten festzuhalten. Erwachsene sind einfach zu vernünftig und zu desillusioniert. Wie in ihren besten Songs rufen TLC auch auf ihrer neuen CD immer wieder zur Selbstbehauptung auf, monieren Fehlverhalten bei ihren männlichen Gegenübern, mahnen zur Tugend, halten die Familie und Gott hoch und sind gleichzeitig explizit sexy. Mit „Girl Talk“ („You got to lick it before you stick it“) schreiben sie Salt ’n’ Pepa weiter, mit „Quickie“ den von ihnen selbst erfundenen Trend, im weiblichen R ’n’ B Jungs zu bashen.

„3D“ ist ein heroisches Abschiedsalbum geworden, dessen Stärke gerade darin besteht, dass es nicht mehr so stark ist wie seine Vorgänger, dass es auch zu seinen lahmeren Songs steht und auch sonst keine wie Missy Elliot wie im großartigen „Dirty Dirty“ auf die Sprünge hilft. Die Neunziger sind zu Ende, und TLC wissen ganz genau, dass es so nicht weitergeht, dass sie zu zweit nicht Schritt halten werden im umkämpften R-’n’-B-Markt.

Noch so ein Mädchen der Neunziger, das sich irgendwie zu verabschieden scheint: Toni Braxton. Mit ihrem neuen Album „More Than a Woman“ verwandelt sie noch einmal mit ihrer gurrend gutturalen Altstimme die dämlichste Sprache der Liebe in herzerweichende Glaubensbekenntnisse und hebt sich damit wieder auf eine Stufe mit Whitney Houston oder Mariah Carey. Toni Braxton führt vor, was passiert, wenn nur die Zwiesprache mit dem Mann zählt. Das hört sich dann etwa so an: „Du hast mich schlecht behandelt. Du hast mit mir gespielt. Gib mir mein Herz zurück. Alle haben mich vor dir gewarnt. Lass dich nie wieder blicken. Bitte, verlass mich nicht. Wir haben es doch so nett. Ich würde alles für dich tun. Du, mein Mann. Ich, deine Lady.“

Während am Anfang von „More Than a Woman“ noch alles ganz nett und ruppig klingt, die Rhythmen sich überschlagen und Schluckauf haben, so, wie es sich für innovativen R ’n’ B gehört, während dies zunächst super Toni Braxtons unverwechselbaren, selbst entblößenden Gesang, dieses Stöhnen, dieses Hauchen kontrastiert, geht es dann nach drei, vier Stücken rapide abwärts – es wird immer glatter und lieblicher und konventioneller, die Musik lässt diesen bemühten Nachdruck in ihrer Stimme allein. Am Ende muss man nur noch an eine kalbende Kuh denken. Toni, warum hast du dir keine Verstärkung gesucht? Warum ist der einzige Spaß, den du besingst, die Unterwerfung? „Just tell me what you need, I’ve got lingerie and toys and things. Your wish is my command, sugar“? – Soll das etwa witzig sein? Oder sollte man doch besser wieder fordern, dass Frauen nur mit Gitarre auf die Bühne dürfen? SUSANNE MESSMER

TLC: „3D“ (Arista/BMG); Toni Braxton: „More Than a Woman“ (Arista/BMG)

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