zoologie der sportlerarten: Prof. Holger Hirsch-Wurz über den Fußballtrainer
Altchinesische Opiumhöhlen
Der homo haareraufensis, im Volksmund Fußballtrainer, ist eine arme Sau. Die ganze Woche lang hämmert es unablässig in seinem geplagten Hirn: Punktverlust, Punktverlust, Punktverlust. Genauso kommt es dann meistens auch, und in der nächsten Woche hämmert es dann von früh bis spät: arbeitslos, arbeitslos, arbeitslos, oder schlimmer noch: Wattenscheid, Wattenscheid, die Höchststrafe für jeden Vertreter der Spezies.
Um die Qualen eines solchen Daseins zu lindern, gibt es viele Methoden. Eine ist, die Schuld an sämtlichen Miseren anderen zu geben: bestimmten Spielern, allen Spielern, Vorständen, neuerdings auch gern so genannten Medien. Die verbreitetste Methode ist jedoch, wie jüngere Forschungen in einschlägigen Werksklubs beweisen, mehr denn je die Droge.
Es ist kein Geheimnis, dass seit vielen Jahrzehnten in Fußballtrainerkreisen geheime Handbücher kursieren, die unter harmlosen Titeln wie „Fußballtrainer leicht gemacht“, „Tabellenende, was soll’s?“ oder „Wattenscheid, wen juckt‘s“ hochbrisantes Material enthalten. Hier finden sich ausführliche Anleitungen zur Linderung der Plagen, die das triste Dasein des homo haareraufensis mit sich bringt. Zum Beispiel, wie man aufmüpfige Spieler schikaniert, einen Co-Trainer findet, der die ganze Arbeit macht, oder eine zweiwöchige Brasilienreise zwecks angeblicher Spielerbeobachtung spendiert bekommt. Ein großer Teil dieser Werke war seit jeher dem Bereich „Ausspannen und abhängen“ gewidmet. In der Vergangenheit fanden sich hier Rezepte, wie man sich das Rauchen angewöhnt, an die Spielerfrauen rankommt und vor allem Richtlinien für extensiven Alkoholkonsum unter intensiver Geheimhaltung. Diese Kapitel enthielten neben Adressen verschwiegener Schnapslieferanten auch nützliche Tipps von „immer gegen den Wind trainieren“ bis zu „möglichst nicht von der Bank fallen“.
In den letzten Jahren lässt sich jedoch feststellen, dass immer mehr härtere Drogen Einzug in die Literatur und damit auch in den Blutkreislauf des homo haareraufensis halten. Die neue Modedroge ist das Kokain. „Die Szene ist völlig verseucht“, verrät unserem Forscherteam ein Insider, manche Friseure in Stadionnähe würden sich bereits weigern, Fußballtrainer zu bedienen, um nicht Opfer einer Razzia zu werden. Andere fegen die abgeschnittenen Zotteln zusammen, jagen sie durch den Mixer und verkaufen den Stoff auf benachbarten Schulhöfen. „Besonders Unterprimaner sind total scharf auf das Zeug“, weiß unser Gewährsmann.
Manch ein Trainerbereich in den Stadien der Bundesliga gleicht inzwischen einer altchinesischen Opiumhöhle, ein Undercover-Wissenschaftler, den wir vor einigen Wochen in die Trainertoilette der Bay-Arena eingeschleust hatten, musste danach eine dreiwöchige Entziehungskur absolvieren. Experten gehen sogar davon aus, dass es hauptsächlich der extensive Konsum des homo haareraufensis germanicus ist, der, neben dem Bundestag, den weltweiten Kokainhandel überhaupt noch am Leben erhält. „Ohne die deutschen Trainer“, so der Boss eines Drogenkartells in Medellín, „würden wir längst Lamas züchten.“
Die fatalen Folgen der Berauschung sind Woche für Woche in den Stadien zu beobachten. Außer Rand und Band befindliche Exemplare des homo haareraufensis, die unartikulierte Schreie ausstoßen, harmlose Fahnenschwinger anpöbeln, gegnerische Spieler würgen oder hektisch auf Papier herumkritzeln. Einem unserer Studenten gelang es kürzlich, ein derartiges Schriftstück zu bergen, nur um entsetzt festzustellen, dass es 200-mal in winzigen Buchstaben den Satz „Lottner ist doof“ enthielt.
Hoffnung auf Besserung dieser erbarmungswürdigen Zustände besteht nicht. Der einzige Ausweg wäre die völlige Selbstaufgabe, sprich: Beendigung des Daseins als Fußballtrainer. Dazu aber ist der Realitätsverlust viel zu weit fortgeschritten. „Keiner kennt mich so gut wie ich selbst“, erklärte uns ein ertappter Trainer, „aber ich habe von meinem Kokainkonsum jahrelang nichts mitbekommen.“
Wissenschaftl. Mitarbeit: MATTI LIESKE
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 39, ist Professor für Human-Zoologie am Institut für Bewegungs-Exzentrik in Göttingen.
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