piwik no script img

zoologie der sportlerartenPROF. HIRSCH-WURZ über den Hammerwerfer

Walross und Donnergott

Er ist groß, er ist mächtig, seine Stärke beachtlich. Kaum ein anderer Sportler kommt dem antiken Bild vom Halbgott herkulischer Prägung so nah wie er – und dennoch ist der Homo martellus ein bedauernswerter Wicht. Stolz schreitet er in den Ring, rotiert gravitätisch wie ein aufgeblähter Brummkreisel um die eigene Achse und schleudert sein Gerät schließlich mit Macht in die Weite des Stadions, nur um hinterher festzustellen: Es hat wieder kein Schwein geguckt. Der Homo martellus führt ein veritables Schattendasein, und dies schon seit ewigen Zeiten.

Während es Vertreter anderer ähnlich archaischer Sportarten sogar zu Ruhm und Ehre in Dichtung und bildender Kunst brachten, blieb der Homo martellus streng der Obskurität verhaftet. Große antike Bildhauer wie Praxiteles oder Phidias schufen Diskuswerfer in Serie, doch niemals auch nur einen einzigen Hammerwerfer. Ein Gemälde von Tizian „Diana erlegt Hirsch mit einem gezielten Hammerwurf von 60,53 Meter“ – genauso undenkbar wie Rembrandts Interpretation des Motivs „David präsentiert den von seinem Hammer zermatschten Kopf Goliaths“ – wiewohl historisch erheblich wahrscheinlicher als die Geschichte mit der albernen Steinschleuder. Und hätte Schiller gedichtet: „Zu Dionys dem Tyrannen schlich Damon, den Hammer im Gewande“, man hätte ihn auf der Stelle Goethe zum Fraß vorgeworfen. Zeus schleuderte Blitze, Amor verschoss Pfeile, Hera giftige Blicke, Aphrodite das Gegenteil, während ihr armer Gatte Hephaistos unter die Erde musste, um die absolute Hammerfreiheit des Olymps zu gewährleisten. Lediglich die nordischen Asen bildeten eine löbliche Ausnahme und trugen in Gestalt des donnernden Thor zur mythischen Ehrenrettung des Homo martellus bei.

Damit überhaupt jemand etwas von seinem Treiben mitbekommt, hat es sich der Hammerwerfer angewöhnt, einen markerschütternden Schrei auszustoßen, sobald er sein Sportgerät in den Äther befördert hat, erreicht damit aber bloß, dass seine Disziplin aus dem Programm der meisten Meetings gestrichen wird, um Klagen wegen Lärmbelästigung zu vermeiden. Wenn er Glück hat und es gerade absolut nichts anderes zu sehen gibt im Stadion, nicht einmal die Startvorbereitungen der 50-km-Geher oder die Dehnübungen des usbekischen Rekordhalters im Stabhochsprung, richten sich tatsächlich einige Blicke auf ihn, meistens dann, wenn sein Hammer, wie es das Schicksal so will, gerade in die Ringbegrenzung kracht oder sich nach einem höflichen Bogen von einigen Metern schon wieder in den Boden bohrt – martellus interruptus sozusagen.

Wenn der Homo martellus gerade nicht wirft und brüllt, präsentiert er sich als angenehmer Zeitgenosse, ganz anders als etwa der Homo scheibicus, der seine gesamte Freizeit damit verbringt zu überlegen, welchem anderen Diskuswerfer er als Nächstes den Handschlag verweigern könnte und ob es möglicherweise irgendjemanden im Starterfeld gibt, mit dem er noch nicht verfeindet ist. Oder der Homo lanzus, der nicht müde wird zu jammern, was ihm heute wieder alles weh tut und was es doch für eine schreckliche Mühe ist, einen Speer lächerliche 80 Meter weit zu werfen. Ganz zu schweigen vom Homo kugelensis, der noch schlechter dran ist als der Hammerwerfer, weil man ihm nicht mal eine Kette an der Kugel gönnt und er daher als eine Art amputierter Martellus durch die Lande ziehen muss.

Der Homo martellus hingegen nimmt es gelassen hin, dass er eine Existenz am Rande der sportlichen Gesellschaft fristet, seinen Wettkampf zu absolvieren hat, wenn sich noch niemand im Stadion befindet, und seine Siegerehrung bekommt, wenn alle schon wieder weg sind. Er ist vergnügt, wenn er gewinnt, aber auch, wenn er verliert. Dann haut er seinem siegreichen Kollegen auf die Schulter, dass es kracht, und der macht sich hüpfend und kabolzschlagend wie ein aus dem chinesischen Nationalzirkus entsprungener Akrobatenbär auf zur Ehrenrunde. Zum guten Schluss springt er walrossgleich in den Wassergraben, was ihm vielleicht nicht die Aufmerksamkeit der Zuschauer einträgt, aber immerhin die der 3.000-Meter-Hindernisläufer. Und weil der Homo martellus solch ein bescheidener Bursche ist, reicht ihm das vollkommen.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 28, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen