zoologie der sportlerarten: PROF. HIRSCH-WURZ über den Fechter
Ballettschüler mit stumpfer Klinge
In früheren Zeiten liefen die Staatsoberhäupter der Welt noch nicht in albernen Kasperleanzügen durch Schanghai, was aber nicht unbedingt heißt, dass sie ihren Verstand besser beisammen hatten. Auch damals handelte es sich meist um in ihrem Reifeprozess stecken gebliebene Leute, die überaus gern Krieg spielten und nichts so sehr liebten, wie über fremde Länder und deren Herrscher herzufallen – besonders wenn diese auch noch anderen Religionen anhingen und so einen prächtigen Vorwand zur Unterwerfung lieferten.
Am Anfang, etwa zur Zeit der Kreuzzüge, war das alles sehr mühsam, denn da musste der Boss noch selber Hand anlegen. Wollte zum Beispiel der oberste deutsche Warlord endlich beweisen, dass er gar nicht der kleinwüchsige Schlappschwanz war, nach dem er aussah, sondern ein ganz toller Bursche, hieß es Rüstung ge- und Weib verschnürt, dann wurde losgezogen. Das brachte unter Umständen nachteilige Nebenwirkungen mit sich. Man konnte ertrinken wie Barbarossa, in Gefangenschaft geraten wie Löwenherz oder als Suppe enden wie Gottfried von Bouillon. Sich einfach in eine Höhle verziehen und von dort große Sprüche klopfen, funktionierte jedenfalls noch nicht.
Um dieser misslichen Situation abzuhelfen, entwickelten die eher dem fröhlichen Wohlleben als dem Schlachtfeld zugewandten französischen Könige den monarchenfreien Feldzug und erfanden als Zugabe die Musketiere. Eine mobile Eingreiftruppe zur Beseitigung unliebsamer Zeitgenossen, Staatsterroristen mit Lizenz zum Töten, eine Art vorindustrieller CIA sozusagen. Die Musketiere wiederum erfanden den Fechtsport und damit den Homo fuchtulufticus. Da ihnen Giftmord zu umständlich war und ein Pistolenschuss zu prosaisch – ganz abgesehen von den Problemen beim Nachladen –, zogen sie es vor, ihr Zielobjekt fein säuberlich mit dem Rapier aufzuspießen, nicht allerdings, ohne es vorher zweieinhalb Stunden lang klingenkreuzend über Tische, Bänke, Treppen und Dächer gescheucht zu haben – wie wir aus der einzig gültigen Form moderner Geschichtsschreibung, dem Hollywoodfilm, wissen. Von den Musketieren so vorzüglich promotet, trat der Fechtsport seinen Siegeszug durch die Welt an, begeisterte gleichermaßen Piraten wie seltsame und edelmütige mexikanische Raubritter mit Waschbärmaske und landete schließlich in Tauberbischofsheim.
Indessen stellte die Domestizierung des Fechtens im Laufe der Jahrhunderte den Homo fuchtulufticus vor ein großes Dilemma, das mit rapide sinkender Übersichtlichkeit zusammenhing. Zu Musketierszeiten war es kein Problem, den jeweiligen Sieger im Klingenwettkampf zu bestimmen. Schließlich lag der Verlierer für jeden Zuschauer deutlich sichtbar mausetot am Boden. Im 20. Jahrhundert bestimmte jedoch nicht mehr ein gewisser Armand-Jean Du Plessis Richelieu die Regeln, sondern ein humanistischen Idealen zugetaner Baron namens Pierre de Coubertin, der eine derartig drastische Form sportlicher Entscheidungsfindung keinesfalls guthieß. Ganz abgesehen von den fatalen personellen Folgen in einer Sportart, die ohnehin unter Nachwuchsproblemen leidet.
Da nicht einmal der burschenschaftliche Schmiss Gnade vor den Augen der Reformer fand, haben wir es heute mit schwer vermummten Gestalten zu tun, bei denen es völlig unmöglich ist zu erkennen, ob nun D’Artagnan oder Emil Beck unter der Maske steckt, und die, statt über Tische und Bänke zu jagen, auf Zehenspitzen eine langweilige Planche entlanghüpfen wie Ballettschüler im ersten Semester. Irgendwann fangen sie an, ein bisschen mit ihrer pazifizierten Stumpfklinge herumzufuchteln und zu -fichteln, bis schließlich unversehens eine Lampe leuchtet, um einen Treffer zu vermelden, den niemand gesehen hat, am allerwenigsten der Getroffene, der sofort heftig zu protestieren beginnt. Kein Wunder, dass die Betätigung des Homo fuchtulufticus vom Massensport der Richelieu-Jahre zu einer reinen Randexistenz verkommen ist: Wer bunte Lämpchen blinken sehen will, geht ins Spielcasino und nicht zum Sport, weshalb das Fechten höchstens noch bei Olympia Gnade vor den Augen des Publikums findet. Aber da gefällt den Leuten ja sogar Kleinkaliberschießen liegend.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
MATTI LIESKE
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 66, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.
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