zoologie der sportlerarten: PROF. HIRSCH-WURZ über den Turmspringer
Kabolz ohne Krokodil
Normalerweise sollte man annehmen, dass nichts einfacher ist, als von einer kleinen Plattform aus in ein gut gefülltes Becken mit Wasser zu plumpsen. Um daraus einen Sport zu fabrizieren, bedarf es schon einer gehörigen Portion an verdrehten Gehirnwindungen und einer leicht perversen Auffassung vom Wesen der Leibesertüchtigung. Der Homo plumpsus verfügt über beides und ist daher prädestiniert, eine der ältesten Betätigungen des Menschen, den fröhlichen Hüpfer ins kühle Nass, in eine ebenso müh- wie armselige Plackerei zu verwandeln – dies gleichermaßen für Betreiber und Zuschauer des Turmspringens.
Zunächst einmal hat der Homo plumpsus dafür gesorgt, dass alles, was Spaß machen könnte, rigoros aus dem Becken verbannt wird. Verpönt ist zum Beispiel der gemeine Bauchklatscher, der allerdings, aus größerer Höhe ausgeführt, auch gewisse Nebenwirkungen bezüglich der Gesundheit des Athleten mit sich bringen könnte und daher höchstens zufälllig zur Vorführung gelangt. Geradezu unerwünscht ist die gepflegte Arschbombe, was immerhin dazu beiträgt, dass sehr wenige zehnjährige Rotzlöffel bei Olympia gesichtet werden – es sei denn, sie kommen aus China und geben sich als 18-Jährige aus. Aber dann sind sie auch keine Rotzlöffel. Würde jemand gar seinem Vergnügen am planschigen Treiben durch das Ausstoßen eines genuinen Tarzanschreies Ausdruck verleihen, müsste er mit einer Sperre nicht unter zehn Jahren rechnen. Das ist auch der Grund, warum zwar der Schwimmer Johnny Weismueller den Tarzan spielen durfte, nicht aber der Wasserspringer Greg Louganis, obwohl dessen Popularität ähnlich groß war und seine Übernahme der Rolle durchaus interessante geschlechtliche Konstellationen hätte hervorbringen können.
Von all dem will der Homo plumpsus nichts wissen. Völlig konträr zur Überzeugung sämtlicher Jugendlicher, dass ein Sprung von Turm, Brett oder Beckenrand erst vollkommen ist, wenn das gesamte Wasser im Bassin auf die umstehenden Menschen schwappt, versucht der Turmspringer komplett spritzerfrei einzutauchen. Er stiehlt sich quasi wie ein Verbrecher unter die Wasseroberfläche, bestrebt, nicht die kleinste Spur zu hinterlassen. Eine extrem langweilige Vorgehensweise, vergleichbar dem Versuch, eine Schlammschlacht zu vollführen, ohne sich die Finger schmutzig zu machen.
Je kleiner der Körper, desto geringer seine Verdrängung, desto minimaler das Spritzeraufkommen, ein physikalisches Gesetz, das eine typenmäßige Eindimensionalität in der Zunft des modernen Homo plumpsus bedingt. Die Medaillen teilen liliputanerartige Geschöpfe unter sich auf, die zumeist aus China stammen und auf ihrem Zehnmeterflug einhundert Mal um die eigene Achse wirbeln. Auf einen wohlgerundeten Koloss, der nilpferdgleich in die Wogen taucht, nachdem er ein halbe Schraube zustandegebracht hat, wartet der geneigte Betrachter vergeblich. Um dieses Manko wettzumachen, hat der Homo plumpsus alberne Wettbewerbe wie das Synchronspringen erfunden. Als wäre es ein Qualitätsschub, wenn statt einem kabolzschlagenden Zwerg zwei kabolzschlagende Zwerge aus den Lüften purzeln und tropfenfrei abtauchen.
Es ist daher kein Wunder, dass der Homo plumpsus von einem gravierenden Popularitätsproblem geplagt wird. Abhilfe ist nicht in Sicht, da archaische Mittel der Spannungssteigerung, wie die von gewissen James-Bond-Schurken bevorzugte Anreicherung des Wassers mit einigen aparten Krokodilen, ebenso chancenlos sind wie moderne Varianten, zum Beispiel die sogenannte Annika-Walter-Technik der fortgeschrittenen Hüllenlosigkeit, bekannt auch als Bunnyjump oder Playboyhop. Die Untermalung des Wettkampfes durch phonstarke Rockmusik, wie beim Snowboard oder Freestyle-Ski, unterbleibt ebenfalls – und das ist gut so. Was könnte man in dieser Hinsicht von einem Homo plumpsus schon erwarten: Bon Jovi, U2, Sting, Elton John. Und das würde selbst Tarzan die Stimme verschlagen.
Wissenschaftliche Mitarbeit:
MATTI LIESKE
Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 38, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen
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