zeit für einen pilzkongress von MICHAEL RUDOLF :
Einen Pilzkongress anzuberaumen ist gar nicht so leicht. Der Vorletzte mit den angesehenen Pilzsachverständigen Goldt und Henschel ging schief: Zwar glänzten alle Teilnehmer mit Anwesenheit. Wer nicht erschien, das war der Pilz.
Der Letzte mit den berühmten Pilzexperten Droste und Klink kam nicht zustande, weil gar keiner kam. Heuer wollte ich Autoren der Fachorgane Pilze konkret und die pilz-wahrheit an einen Tisch bringen und klären, ob die als Bratenbeilage oder Gemüseplattenaufbrezelung angebotene „Waldpilzmischung“ ihren Namen zu Recht trage. Aus Angst, zu spät zu kommen, erschien ich sechs Wochen zu früh. Ich schützte daher Weltschmerz mittleren Grades vor und ließ mich von einer Klinik in Rufnähe der Tagungsorte auf Stand by schalten. Purer Zufall: im Speisesaal werden die Patienten seit zehn Jahren täglich mit dieser schlierigen Tiefkühlstopfmasse massiv eingeschüchtert: „Pilzsuppe pikant-süßsauer“, „Pilzsauce“ und „Pilzragout“ heißt das da unverdächtig.
Während es dem angrenzenden Forst, der bisher von den Plagen modernen Umweltschutzes gänzlich verschont geblieben ist, überhaupt nicht an richtigen Pilzen mangelt: Steinpilze, Bereifte Röhrlinge, Grüngefelderte Täublinge sämtlicher Körbchengrößen wie aus dem Katalog, Parasole, wo die Wegränder Platz boten, jeder zweite Baumstumpf hallimaschisiert, Perlpilze vor die Säue geworfen. Unberührte Stockschwämmchenpopulationen konnte ich konkurrenzlos kartieren.
Selbst hinterm Raucherpavillon auf dem Klinikgelände übten die heimlich von mir gemästeten Birkenpilze und Rotkappen rührend unbeholfen Tarnen und Verstecken. Davon unbe- und -gerührt rührten die gewissenlosen Klinikküchenweiber containerweise Dosenchampignons mit Mehlschwitzen an, wenn ihre Magnumpackung „Waldpilzmischung“ gerade mal aus war. Nachts träumte ich alp, Schwester Christine rücke beim Blutzapfen mit einem rostigen Riesenklistier an und erzwinge eine allumfassende Abhängigkeitserklärung für die „Waldpilzmischung“ von mir.
Höchste Eisenbahn also für unseren Kongress. Selbstverständlich kam Herr Tomayer pünktlich. Mit dem Rad. Aus Hamburg. Frau Hofmann hingegen traf mit zwei Tagen Verspätung ein. Mit dem Zug. Herr Sander allerdings kam eine ganze Woche zu spät. Mit dem Automobil! Und die sauberen Pilzsachverständigen Leweke und Roth, Riedel und Sabri standen nur per Standleitung zur Verfügung. Trotzdem verliefen die Gespräche in einer einwandfrei entspannten Atmosphäre. An den Tagungsorten „Forsthaus“, „Folklorehof“ und „Pilzmühle“ konnte durch Verkostung angeblicher „Waldpilzmischungen“ in diversen Zusammenhängen sekundenschnell der makellose Beweis erbracht werden, dass es sich um einen gastronomischen Willkürakt aus gezüchteten Champignons, Stockschwämmchen, Austernseitlingen und Shiitake handeln kann. Mein ergreifendes Referat über die Zustände im Klinikspeisesaal als verlängertem Folterkeller der Tiefkühlmafia gab jedoch den Ausschlag. So viel war klar: Als Nächstes müssen wir damit an die Öffentlichkeit und diesen gewissenlosen Verbrechern das „Handwerk“ legen.