zahnersatz : Aufschlussreiche Posse
Wie reformfähig ist Deutschland? Das ist eine beliebte Frage im Politikspiel. Die Reformfreunde sind entsetzt und sich einig: Die Bundesrepublik ist ungefähr so unbeweglich wie ein havarierter Tanker, der direkt auf einen Eisberg zusteuert. Wer so katastrophisch denkt, kann seit gestern noch mehr stöhnen. Diesmal über den Zahnersatz. Seit einem Jahr wird debattiert und gerechnet – heraus kam ganz schlicht, dass die Arbeitnehmer mehr zahlen und die Arbeitgeber weniger. Wo bleibt da der Fortschritt, der Aufbruch, der Systemwechsel?
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Aber diese ungeduldige und harsche Kritik verkennt einen eklatanten Vorteil der Miniaturreform: Wenn sie schon sonst nichts ist – sie ist wenigstens transparent. Für alle ist völlig übersichtlich, wer mehr bezahlen muss und wer weniger. Und zusätzliche Bürokratie wird auch nicht gebraucht. So übersichtlich geht es selten zu in der deutschen Reformdebatte.
Die Posse rund um den Zahnersatz wirft eine Frage auf, die ruhig häufiger diskutiert werden könnte: Wie sinnvoll ist der deutsche Reformeifer eigentlich?
Denn zu den erstaunlichen Phänomenen gehört, dass die Reformen oft nicht besonders viel mit den angepeilten Ergebnissen zu tun haben. So soll Hartz III die Arbeitsagenturen modernisieren und den Arbeitslosen mehr Betreuung bieten – wogegen ja nichts sagen ist. Aber bei diesem auch schon recht anspruchsvollen Ziel bleibt es offiziell nicht: Die verbesserte Vermittlung soll gleichzeitig die Zahl der Erwerbslosen deutlich senken. Es wird so getan, als wäre die deutsche Arbeitslosigkeit ein Irrtum der Behörden, die es nicht verstehen, jene Jobs aufzuspüren, die millionenfach existieren.
Aber immerhin ist durch Hartz III kein Schaden entstanden. Das lässt sich nicht von jeder Reform sagen. Gerade jenes Projekt, auf das Regierung und Opposition gemeinsam so stolz sind, war tatsächlich ihr größter Fehler: die Reform der Einkommen- und der Unternehmensteuern. Der erhoffte Aufschwung blieb aus – doch jährlich verliert der Staat viele Milliarden Euro, die er nicht mehr für Zukunftsprojekte einsetzen kann. Etwa für Wissenschaft und Bildung, obwohl sich doch alle Reformer so sicher sind, dass sie über die deutsche Wettbewerbsfähigkeit entscheiden.
Wo immer der Eisberg schwimmt, der den Tanker „Deutschland“ angeblich gefährdet – heftiges Drehen am Steuerrad vermeidet die Katastrophe nicht unbedingt.