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Archiv-Artikel

zahl der woche Eine Krankheit fordert tausende Tote

Unsere heimliche Epidemie

Die große Epidemie ist jetzt vorüber. Wie viel Menschen sie dieses Jahr das Leben gekostet hat, weiß man nicht genau. Das Robert-Koch-Institut – im Auftrag der Bundesregierung überwacht es die Gesundheit der deutschen Bevölkerung – schätzt die Zahl der Opfer auf mindestens 12.000. Wahrscheinlich jedoch sind es wesentlich mehr. Die Obergrenze seriöser Schätzungen liegt bei 30.000 Toten.

So viel ist sicher: Im nächsten Winter kommt die Epidemie wieder. Die Rede ist nicht von SARS, der heimtückischen Lungenentzündung, die bislang 263 Menschen das Leben kostete und im Fernen Osten für Aufruhr sorgt. Was aber ist der SARS-Wüterich im Vergleich zu unserer Influenza – landläufig als „Grippe“ bezeichnet. Nahezu flächendeckende Impfungen bei Kleinkindern können ihre Wirkung zwar eindämmen, verhindern aber nicht.

Wer krank wird, bekomme Fieber, lege sich zwei Tage ins Bett, nehme Hustensaft zu sich und lese ein Buch – danach sei man wieder genesen, nimmt der grippeunkundige Bürger zu seiner Beruhigung an. „Das ist ein Irrtum“, weiß Arnim Baillot, Mediziner am Nationalen Influenza-Referenzzentrum in Hannover, „die Grippe wird unterschätzt.“ Denn besonders denjenigen wird sie gefährlich, deren Organismus bereits geschwächt ist. Das sind Menschen über 60 Jahre und solche, die unter chronischen Erkrankungen leiden. Ihre Opfer rafft die Virusinfektion dahin, weil sie oft eine bakterielle Lungenentzündung nach sich zieht.

Doch nicht nur die so genannten Risikogruppen gelten als gefährdet. Weil die Influenza den Herzmuskel angreifen, dort schwere Entzündungen hervorrufen kann, führt sie per Herz-Kreislauf-Versagen mitunter auch bei sonst völlig gesunden Mittdreißigern zum Tode.

Mindestens 0,01 Prozent der deutschen Bevölkerung sterben jährlich an der Grippe. Trotzdem kann sie unsere – für öffentliche Stimmungen sonst so empfängliche – Gesellschaft nicht in Panik versetzen. Dass die Influenza kommt und geht, ist bekannt. Was nicht bedeutet, dass die Menschen wissen, welche Folgen sie mit sich bringt. Sie denken aber, sie wüssten es.

HANNES KOCH