zahl der woche: Strahlende Sonne und blühende Wirtschaft
Nokialogie wärmt Finnland
Glückliches Finnland. Die RandeuropäerInnen können sich nicht nur über einen richtigen Sommer freuen, während die Nachbarn rundherum von Regenunwettern überschwemmt werden. Sie dürfen auch noch mit einer rekordwachsenden Wirtschaft protzen. Das gute Wetter kommt aus dem Osten. Der Wirtschaftsboom hat keine Himmelsrichtung, sondern fünf Buchstaben: N-O-K-I-A.
Nokia steht nicht nur für 60 Prozent des Werts aller an der finnischen Börse gehandelten Aktien, es ist auch allein für die Hälfte des Wirtschaftswachstums gut und für den Export wichtiger als die Holz- und Papierindustrie.
Der sagenhafte Erfolg des Elektronikriesen – an seinem Glanz kann auch ein momentaner Börsenschluckauf nicht kratzen – hat nicht nur zehntausende von Millionären und hunderte von Multimillionären aus einfachen Arbeitern und Bauern gemacht, die vom Großvater Aktien der einstigen Gummistiefelfabrik geerbt hatten. Es ist eine Staatsreligion entstanden: Nokialogie.
Nichts ist mehr unmöglich. So kreuzt Mauno Normalverbraucher statt Lottozetteln nun Bestellformulare von Banken und Fondsfirmen an, um bei der Ausgabe neuer Aktien irgendeiner dubiosen IT-Firma ja nicht zu kurz zu kommen. In Helsinki, einst verschlafen und mit dem herben Charme des Ostens, wachsen neue Modeläden, Kneipen und Trendwohnungen wie Pilze aus dem Boden. Ähnlich wie zu Ende der Achtzigerjahre. Damals war es ein kurzes Gastspiel, dem schnell der große Crash folgte.
Klar, es gibt da immer noch eine zweistellige Arbeitslosenrate, aber nun ist es das finnische Wirtschafts- und IT-Wunder, von dem die internationalen Medien schwärmen. Das hebt natürlich das nationale Selbstbewusstsein. Auch wenn immer mehr Warnglocken läuten und vor einem Platzen der überhitzten Wirtschaftsblase warnen. Die finnische Zentralbank würde längst gerne durch Zinserhöhungen der Inflationsgefahr gegensteuern. Doch Überhitzung allein im fernen Finnland ist kein Thema, das die europäische Zentralbank reagieren lässt – ein echter Test für die EWU-Mechanismen.
Geht es mal wieder unaufhaltsam auf einen Crash zu, fragte Helsingin Sanomat gerade. Was ein von der Tageszeitung befragter Aktienanalytiker staubtrocken kommentierte: „Verlierer muss es immer geben. Viele hätten eben besser beim Lottoschein bleiben sollen.“ REINHARD WOLFF
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