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wullacken im weserbergland

von WIGLAF DROSTE

Vor zwei Jahren schenkte mir Vincent Klink zwecks Gartenarbeit eine weiße Latzhose. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, sie jemals anzuziehen. Die Latzhose, eine der Hauptgeißeln der späten Siebzigerjahre, ist zu Recht tot und begraben. Dachte ich: Als ich Mitte August auf der Popkomm mitbekam, dass Jochen Distelmeyer, der pathetische Texter und Sänger der Band Blumfeld, in weißer Latzhose zum Konzert antrat, als Unschuld aus Bielefeld-Brake quasi, wurde mir noch einmal retrospektiv übel.

Sommers im Weserbergland allerdings ist eine Latzhose das bestürzend richtige Kleidungsstück. Bei gut dreißig Grad, mit Schüppe, Spitzhacke, Schub- und Sackkarre in Mergelboden, Kompost und Sand, sind Latzbuxe und Maurersandalen (mit Stahlkappe!) das Einzige, was man tragen möchte. Jeder Jugendliche, der Landarbeit fürchtet und vor ihr abhaut, wohin auch immer, hat Recht und tut gut. Mit vierzig, für vier, fünf Tage als Aushilfe, ist mir die Maloche sehr recht. Mal so richtig schön unfiligran wullacken! Das Schwitzwasser spritzt vom Gesicht, läuft hinten die Kimme runter, ich wuchte Bruchsteine zu Trockenmauern. Wer für diesen Fez in die Muckibude geht, vernatzt sich selbst.

Nach der Arbeit lockt das Mysterium Mycel. Anis-, Feld- und Waldchampignons fand ich hier oft, Parasol stets reichlich, manchmal Freund Steinpilz, den Netzstieligen Hexenröhrling und den Geselligen Rasling. Jetzt ist der Boden pulverknuspertrocken, nichts gibt es, nicht einmal modriges Morcheln in der Nase. Am Feldhang wächst Quendel, wilder Thymian, und duftet herbe; Grillen machen mächtig Radau. Hitze steht in der Luft, sattgelb leuchten Stoppelfelder, die Erde staubt, das olfaktorische Gedächtnis führt mich Jahrzehnte zurück. Aus der Riecherinnerung steigt ein Bild auf: Spätsommer, ein barfüßiges, mageres, braun gebranntes Kind rennt über abgemähte Weizenfelder, zerschrammt sich die Knöchel, flitzt weiter, und ein bunter Papierdrachen steigt hoch in den Himmel.

Ein Traktor klöddert übers Feld, einen Anhänger mit der Aufschrift Krone hintendran, fährt übers Stroh und schluckt es, feuert aber nicht Heubunde heraus, wie ich’s von früher kenne; hier wird das Stroh zu großen Rollen gepresst, die vieldutzendfach auf den Feldern liegen, als hätten die Götter spaßeshalber ein wenig gekegelt. Am Weg, sich sonnend, liegt goldgrün eine Blindschleiche; in meiner Hand ist sie warm und trocken, gar nicht glipschich wie die Nacktschnecken, die das Land verheeren. Über 500 von diesen Schleimern hat die Nachbarin an einem Morgen in ihrem Garten zusammengeklaubt und mit kochendem Salzwasser übergossen; Funny van Dannen erzählt, seine Frau schnitte die Viecher mit dem Messer in zwei Hälften, während er ihnen tierlieb eine faire Chance gibt, sie einsammelt und zur nächsten verkehrsreichen Straße bringt. Künstler haben oft die interessantesten Ideen.

Die Blindschleiche hüpft ins Gras und gleitet davon, und auch ich mache mich vom Acker: Marlon Sonnenbrando geht nach Hause, in die Stadt.

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