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wortwechselKeine Zeit zum Aufatmen? Frankreich „unregierbar“?

Das Volk hat gewählt – Faschisten bleiben in der Opposition. Hält Frankreich noch neue Überraschungen bereit? Sind real tragfähige Koalitionen in diesem weiten Feld in Sicht?

„Frankreichs Premier Attal bleibt im Amt: Präsident Macron bittet um Geduld“, taz vom 9. 7. 24

Ampel à la française?

Die Linksfront beansprucht den Posten des Premiers, und die Zentristen, also die Macronisten, berechnen ihr die Kosten ihres Verzichts (désistement). Der Kampf um die Führung gegen die Nationalistenfront beginnt parlamentarisch mit der Gewichtung der Anteile der Parteien in einer weit gespannten links-bürgerlichen Koalition, einer Ampel à la française.

Wer immer hier in Frankreich gewinnt, er oder sie wird Wachstumsprobleme verhandeln, die vor allem alle westlichen Regierungen auf Dauer nicht mehr loslassen werden.

Es wachsen die demografische Instabilität (Rentenproblem), die öffentliche Schuldenlast, die Kosten des Klimawandels, die Ansprüche an das defizitäre Sozialsystem (Rentenreform) sowie der globale Wettkampf um industrielle Marktanteile und Beschäftigung durch Subvention, nicht zuletzt die Last der Landesverteidigung. Ulli Stegent

Nach der Freude, dass es die Rechten nicht geschafft haben, wird bald die Ernüchterung einkehren, dass in dieser Konstellation Frankreich bald unregierbar wird. Rudi Hamm

Chance für Demokratie?

Ist doch einfach schön, dass man jetzt neue Sorgen hat und nicht Le-Pen-Sorgen. Die Situation wird vielleicht für Frankreich gar nicht so schlecht enden.

Ein Parlament, das nicht von einer Partei dominiert wird, sondern demokratisch in Sachfragen nach mehrheitsfähigen Kompromissen suchen muss, ist doch per se kein Fehler. Winnetaz auf taz.de

Wie es weitergeht? Eine/n Kandidaten/in werden sie finden, aber danach werden sie streiten: Gaza, Priorität für das Klima oder nicht, alle Woke-Themen etc. pp..

Der Zwerg auf taz.de

„Wahlniederlage für Le Pen in Frankreich: Die Brandmauer hat gehalten“,

taz vom 9. 7. 24

Nicht für die Juden

„De la poêle à feu“ – wörtlich heißt das: von der Pfanne ins Feuer.

Die Absage an die Rechten ist noch lange keine Ansage in Richtung eines sozialen Friedens. Durch Kritik an der Hamas hat sich Mélenchon noch nicht profiliert. In einer aktuellen Umfrage meinen 92 Prozent der französischen Juden, dass ­Mélenchons Partei zum zunehmenden Antisemitismus beigetragen habe.

Nur 30 Prozent der befragten französischen Juden geben den Rechten um Le Pen die Schuld für den Anstieg des Judenhasses. Sogar 60 Prozent von ihnen sind überzeugt, die Grünen seien dafür verantwortlich. Die jüdische Reaktion ist nicht paranoid, sondern pragmatisch.

Die Brandmauer hat, ungeachtet der Schlagzeile zum Artikel, nicht gehalten. Michaela Dudley auf taz.de

Dass der rechtsradikale RN sich eine andere Opfergruppe gewählt hat als die „traditionell“ dafür im Faschismus vorgesehenen Juden, das macht den RN um keinen Deut besser. Dafür wird immer die Minderheit ausgewählt, für die sich „anschlussfähige“ Ressentiments im Wahlvolk finden.

Macron hat hoch gepokert, aber nicht wirklich verloren.

Wir werden sehen, mit wem er in der nahen Zukunft eher kooperiert. Er hat Frankreich gefragt: Wollt ihr wirklich eine Rechtsextreme an der Macht? Und Frankreich hat geantwortet: Nein! Das ist mehr und besser als die anderen Antworten auf diese Frage in Europa. Monomi auf taz.de

Eine andere Politik?

Es scheint doch unübersehbar, dass sich mindestens die Hälfte der Menschen EU-weit wünschen, dass eine andere Politik gemacht wird. Dass anders Politik gemacht wird.

Woher kommen die immensen Zuflüsse der Rechten, der Nationalisten und Rassisten? Von einer Wahrheiten und Fakten negierenden, manipulativen Politik. Von einer Politik, die Konzerninteressen und die Wünsche einer total enthemmten Finanzwirtschaft über Lebenswirklichkeiten und Bedürfnissen der Menschen einordnet.

In Zeiten des Klimawandels lavieren Politiker aller Länder, in Zeiten von massiv zunehmenden Flüchtlingsströmen weltweit wird Bür­ge­r*in­nen noch immer nicht nachvollziehbar erklärt, wo unser aller Verantwortung für die Krisen und Katastrophen in den Herkunftsländern der Flüchtenden liegt.

Die Politik nimmt den Rechtsruck in Kauf, um das Ressourcenmanagement und die rein auf Konsum ausgerichtete Gesellschaft nicht reformieren zu müssen. Ändern wir aber unsere Politik, verändert sich der gesellschaftliche Dissens. Funx Xsta auf taz.de

Das ist mal ein Grund zum Feiern, merci! Ob sich die Macronisten bei den Linken dafür bedanken? Als gute Kapitalisten wahrscheinlich nicht. Sie werden sich nehmen, was kostenlos zu haben ist und weiterziehen, wenn diese Ressource verbraucht ist. Tomás Zerolo auf taz.de

Wer wird „blockiert“?

Ich kann diese „Brandmauer“-Rhetorik nicht mehr hören. Wenn mehr Menschen wählen gehen, zeigt sich einfach, dass die Rechten in der Minderheit sind. Das ist doch eine gute Nachricht. Und wieso ist das Parlament „blockiert“, wenn keine Partei die absolute Mehrheit hat? Was für ein Demokratieverständnis steht hinter einer solchen Aussage? Dann wäre ja das deutsche Parlament praktisch seit 50 Jahren blockiert. Semon auf taz.de

„Frankreichs Wahlsieger Neue Volksfront: Mehr Windkraft, mehr Wärmedämmung“, taz vom 9. 7. 24

Erst einmal sollten die Leute aufeinander zugehen, um ein Bündnis zu stabilisieren, das schließlich sehr kurzfristig gebildet wurde. In Frankreich haben alle diese Gruppierungen und Parteien aber seit Langem eine Kultur des Gegeneinanders und des Anschreiens gepflegt.

Land of Plenty auf taz.de

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