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wortwechselHoffnungswort Diplomatie? Verhandeln mit Russland?

Ein Gastkommentar zur Jahreswende hat für Protest in taz-Leserkreisen gesorgt. Jetzt neue Verhandlungen mit Putins Russland? Völlig unrealistisch! Alte Diskussion, nur neu verpackt?

„Endlich Diplomatie wagen. Der Krieg ist für die Ukraine und die westlichen Bündnispartner nicht zu gewinnen, ein Flächenbrand droht. Es ist Zeit für Verhandlungen und einen Waffenstillstand“, wochentaz vom 30. 12. 23

Verhandlungen? Naiv!

Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke war einmal ein renommierter und respektierter Akademiker, Michael von der Schulenburg war Jahrzehnte lang Diplomat in Diensten der OSZE und der UNO. Was sie sich ein Leben lang als guten Ruf aufgebaut haben, das haben sie selbst im Februar 2023 begonnen zu zerstören mit der Unterzeichnung des sogenannten „Manifest für Frieden“ von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht.

„Im März 2022 war zwischen der russischen und der ukrainischen Delegation in Istanbul bereits ein Abkommen paraphiert worden. Das Abkommen scheiterte an der Blockade Großbritanniens und der Vereinigten Staaten.“ Diese russische Propagandalüge wird bedenkenlos von den beiden Autoren übernommen; es hatte kein „paraphiertes Abkommen“ gegeben, sondern die Ausweitung des russischen Angriffskriegs zum genozidalen Vernichtungskrieg. Funke und Schulenburg lassen außerdem geschlagene acht Jahre des russischen Kriegs gegen die Ukraine und des ukrainischen Widerstands einfach unter den Tisch fallen. Bekanntlich begann dieser Krieg im Februar 2014 mit der russischen Invasion und Okkupation der Krim, der dann schnell die Annexion folgte. Kurz danach wurde der Krieg auf die ukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk ausgeweitet. Dort begann die Ukraine dann, sich gegen den russischen Krieg zu wehren, um ihre Unabhängigkeit zu verteidigen. Diese Gegenwehr machen die beiden Autoren nun der Ukraine zum Vorwurf. Diese Verteidigung habe Russland weiter provoziert und dessen „Sicherheitsinteressen“ verletzt.

Albrecht Kolthoff, Amberg

Funke und von der Schulenburg präsentieren die altbekannten Argumente der „Frieden um jeden Preis“-Freunde. Dabei hat Diktator Putin offen die Wiederherstellung der Vorherrschaft Russlands über Osteuropa als Ziel benannt. Statt auf dieses imperialen Streben einzugehen, wird über eine Verantwortung des Westens für den Konflikt fabuliert. Die Wünsche der Ukrai­ne­r*in­nen nach Zugehörigkeit zum demokratischen Europa finden an keiner Stelle Erwähnung. Verhandlungen machen erst dann Sinn, wenn die Ukraine dem Diktator mit westlicher Hilfe klargemacht hat, dass er seine Ziele militärisch nicht erreichen kann.

Lars Andersen, Hamburg

Keinerlei Erwähnung der gewaltsamen und kriegerischen Einverleibungen Tschetscheniens, von Teilen Georgiens, der Krim und des Donbas. Da wird über „Verhandlungen“ fabuliert – die ich übrigens auch begrüßen würde. Fatal nur, wenn die Russen einen souveränen Staat überfallen, Kriegsverbrechen schlimmster Art begehen und kein Interesse an Verhandlungen haben – es sei denn, die Ukraine akzeptiert auch die Einverleibungen der von diesem Verbrecherstaat besetzten Gebiete. Das Versäumnis der westlichen Staaten besteht vorrangig darin, sehr zögerlich die Ukraine militärisch intensiver zu unterstützen, dann hätte dieses heutige Patt wahrscheinlich vermieden werden können. Gunter Kalinka, Jüchen

Ich möchte erinnern an das Szenario des stellvertretenden Leiters des Sicherheitsrates der Russischen Föderation, Medwedew: Weiterführung der „militärischen Sonderoperation“ in der Ukraine bis zum endgültigen Erfolg. Beendigung des „faschistischen Bandera-Regimes“ in Kiew und Ersetzung durch ein Marionetten Regime von Russlands Gnaden. Militärische Besetzung von Charkiw, Kiew, Odessa, Dnipro, Saporischschja, Nikolajew durch russische Truppen. Vollständige Demilitarisierung der Ukraine, also die Zerschlagung des ukrainischen Militärs.

Matthias Schoenke, Bremen

In diesem Essay werden ausschließlich Forderungen an die Ukraine, an „den Westen“, an Deutschland, an Frankreich, an Europa, an „die Europäerinnen und Europäer“, an die Länder des „Globalen Südens“ gestellt. Dagegen keinerlei Forderungen an den eigentlichen Aggressor Russland. Die einzige Kritik an Russland in diesem langen Text versteckt sich in den beiden Worten „brutal“ und „völkerrechtswidrig“. Stattdessen wird dem Westen die alleinige Schuld am Krieg und dessen Verlauf in die Schuhe geschoben. Das beginnt schon mit der generellen These, es gäbe kein Interesse an Diplomatie. Der Artikel übersieht komplett die massive Krisendiplomatie vor Februar 2022. Der Einzige, der diesen Krieg nicht abwenden wollte, war Putin. Die Autoren sagen nicht, wie man damit umgeht. Der Text enthält auch kein Wort zur innenpolitischen Situation in Russland. Der imperial-faschistische Charakter Russlands wird nicht erkannt. Stattdessen ist Russland einfach ein Land mit „Sicherheitsinteressen“. Insgesamt ist der Artikel eine hanebüchene Täter-Opfer Umkehr. Michael Eichhorn, Berlin

Verhandeln! Endlich!

Liebe taz-Redaktion, nach mehreren enttäuschten Leserinnenbriefen zur fehlenden Berichterstattung über diplomatische und verhandlungsorientierte Ansätze im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine, möchte ich nun meine Freude darüber ausdrücken, dass in der taz zum Jahreswechsel endlich Positionen und Analysen wie die von Hajo Funke und Michael von der Schulenburg zu Wort kommen! Davon wünsche ich mir mehr. Die taz-Berichterstattung zum Gazakrieg finde ich deutlich ausgewogener. Ulrike Erb, Bremen

Liebe Leute, zwei Jahre hat es gedauert bis in der taz ein Artikel „Endlich Diplomatie wagen“ erscheint. Diskurs nach zwei Jahren. Bravo. Michael Rettig, Bremen

Danke für den Abdruck dieses Beitrages. Es steht ja nichts Neues drin, aber es verdient Aufmerksamkeit, wenn an fragwürdige Entscheidungen und Maßnahmen der Nato-Staaten im Vorlauf des Krieges erinnert wird, und an Gelegenheiten, wo Verhandlungsoptionen zum Greifen nahe waren und dennoch ausgeschlagen wurden. Ulrich Varwig, Duisburg

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