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wortwechselWerte in der Krise: Pflicht. Verantwortung. Freiheit

Treiben Klimakrise und Corona das Land zu einem Grundkurs in Vulgärphilosophie? Werden grundlegende Werte neu definiert und instrumentalisiert? Um wessen Pflichten geht es?

Wer wirft welche Argumente in die Waagschalen? Wie werden die Fakten gegeneinander abgewogen? Letztlich werden die Gerichte entscheiden müssen Foto: filo/getty images

„Kann unsereins auch pflichtbewusst sein?“, taz vom 31. 12. 21

Klimapolitik per Strafe?

Sehr geehrter Herr Unfried, wenn der von Ihnen zitierte Herr Reckwitz in seinem Artikel in der Zeit das Thema „Pflicht“ aufgreift, so ignoriert er den Unterschied zwischen dem, was man in den 60er Jahren unter „Pflicht“ verstand, und was heute. Um 1960 hatte jede Ehefrau die Pflicht, ihren Mann zu bekochen, für ihn zu waschen und den Haushalt nach Wunsch zu führen. Wenn sie verprügelt wurde, musste sie das als Teil der ehelichen Pflichten hinnehmen. Ihre vorrangige Ehepflicht bestand selbstverständlich in der Erfüllung sämtlicher Sexansprüche des Mannes, bei Tag oder Nacht.

Natürlich gab es auch Männer, die beruflich ungerechten Pflichten, etwa in Form von unbezahlten Überstunden, unterworfen waren. Doch Herr Reckwitz vergleicht diese uralte „Pflicht“ ohne weiteres mit dem jetzigen Umwelt- und Klimaschutz! In einem ähnlichen Tonfall wie die alten CDU/CSUler, die Strafen für Kinder verlangten, weil sie freitags nicht zur Schule gingen. Sie haben unerwartet durch die Wahlen ihre Macht verloren, müssen hilflos zusehen, wie nun Klimapolitik getrieben wird und noch sonst allerlei „Unfug“, den sie bisher verhindern konnten. Reckwitz beruhigt sie: Der richtige Ausweg für die Klimapolitik bestehe einfach in „Sanktionierungen“, vergleichbar den Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze. Fallen wir nicht darauf herein!

Barbara Höhfeld, Frankfurt am Main

Impfen als Bürgerpflicht?

„Die Grenzen der Freiheit“, taz vom 7. 1. 22

Ich schicke voraus, ja, eine allgemeine Impfpflicht kann sinnvoll sein. Aber eine ethische, moralphilosophische Begründung wie in diesem Text ist nicht hinreichend. Ein Strauß von Fragen hinsichtlich Praktikabilität und Vermittlung bleibt zu klären. Wird es ein Impfregister geben? Welche Reichweite hat die Impfpflicht? Gilt sie für alle zukünftigen Coronavarianten, oder gibt es in einem ersten Schritt eine zeitliche Begrenzung? Wie kann verhindert werden, dass Impfpflicht nicht mit Impfzwang verwechselt wird, ein großes Problem angesichts verhärteter Standpunkte in der Gesellschaft. Was geschieht bei Verweigerung? Welche Sanktionen, Strafen sind dann angezeigt? Dem Bundestag stehen schwierige Entscheidungen bevor. Zumindest wird es eine offene Debatte geben, wohl ohne Fraktionszwang. Entscheidungen werden hoffentlich verständlich und nachvollziehbar getroffen. Das wiederum trüge dazu bei, Glaubwürdigkeit und Vertrauen bezüglich der politischen Entscheider zu fördern. Peter Stolt, Lohe-Rickelshof

Moralisch verwerflich?

Steckt man in den „Automat“, das Nicht-Impfen sei eine kriminelle Handlung, dann kommt heraus, dass sie moralisch verwerflich ist. Die mittelalterliche Scholastik bediente sich in ihren finstersten Momenten solcher Tricks. Unser junger Philosoph würzt das noch mit Beispielen von Handlungen Rechtsradikaler und motorisierten Verkehrstätern. Die Impfung gegen Corona ist aber keine Pockenimpfung. Sie bietet vielleicht vorübergehenden, kurzfristigen Schutz und erscheint als eine mögliche Strategie, deren Effektivität aber immer geringer erscheint. Sie wird fraglicher bei immer neueren Varianten des Virus. Die moralische und verfassungsrechtliche Argumentation bewegt sich auf dünnem Eis. Und die Wissenschaft, die sich dafür hergibt, agiert gewalttätig und korrupt mit verheerender gesellschaftlicher Wirkung, auch wenn sie philosophisch daherkommt.

Burkhart Braunbehrens, Ebertsheim

„Freiheit in Bezogenheit“

Liebe taz, herzlichen Dank für diesen klaren und gedanklich gut strukturierten Beitrag von Charles E. Schildge! Die großartige Commons-Expertin Silke Helfrich hat einmal geschrieben: „Wir müssen begreifen, dass unsere Freiheit auf der Freiheit der Anderen beruht und nicht eine Freiheit des isolierten Einzelnen ist, sondern Freiheit in Bezogenheit.“ Übertragen auf die gegenwärtige Pandemiesituation bedeutet das, dass diejenigen, die auf ihre Freiheit pochen zu entscheiden, sich nicht impfen zu lassen, einen ungeheuren Machtanspruch gegenüber dem Rest der Gesellschaft aufbauen: „Mein Körper gehört mir, da entscheide allein ich selbst!“ In der Bezogenheit auf alle anderen Mitglieder der Gesellschaft hat diese Haltung zur Konsequenz, diesen die Umsetzung bestimmter Maßnahmen aufzuzwingen, weil die Betten auf den Intensivstationen weitestgehend von ungeimpften Coronapatienten blockiert werden. Und wenn Christian Lindner behauptet, das höchste in unserer Verfassung festgeschriebene Gut sei die Freiheit, dann möchte ich ihm entgegenhalten: „Nein, lieber Herr Lindner, das höchste Gut ist die Würde des Menschen!“ Und zu deren Erhalt ist in einem Gemeinwesen die Einschränkung der individuellen persönlichen Freiheit in manchen Situationen dringend geboten. Winfried Plesch, Schriesheim

Psychotherapie für wen?

„Eine Pflicht auch für den Staat“,

taz vom 9. 1. 22

Aha, geschulte Personen, am besten Psychotherapeut:innen, sollen Sorgen und Widerstände zur Impfpflicht in Ruhe besprechen. Das auch noch mehrsprachig. In welcher Blase lebt die Abgeordnete und Psychiaterin Kirsten Kappert-Gonther eigentlich? Die durchschnittliche Wartezeit auf einen Psychotherapieplatz beträgt in der BRD ein halbes Jahr. Jetzt auf einmal soll also qualifiziertes Personal zur Impflicht beraten. Wo soll das bitte herkommen? Das Irre ist doch, dass mit der ganzen Covid-Statistik und dem Maßnahmenwirrwarr ein kapitalisiertes Gesundheitsheitssystem vor Überlastung geschützt werden soll, dessen einzige Vorstellung von Gesundheit die von Symptomfreiheit ist. Das alles, damit wir weiterhin in unserer zur Staatskultur aufgestiegenen Clubkultur Kette rauchend Ecstasy einschmeißen können und jetzt auch noch denen, die auf Psychotherapie wirklich angewiesen sind, die qualifizierten Therapeuten wegnehmen.

Karsten Neumann, stadtgründungsbüro Bethang, Nürnberg

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