piwik no script img

wortwechsel„Dann bleiben nur Trauer und Fassungslosigkeit“

In der Pandemie werden Sterbende isoliert. Angehörige, Freun­d:in­nen verlieren oft die letzte Möglichkeit des Zusammenseins. Am Sonntag erinnerte ein Gedenktag an die Verstorbenen

„Die Unmöglichkeit zu trauern. Über 80.000 Menschen sind in Zusammenhang mit Corona gestorben. Aber wie soll man Abschied nehmen, wenn man einander nicht nah sein darf? Vier Hinterbliebene erzählen“, taz vom 17./18. 4. 21

Trauer im Verborgenen

Danke für diese vier eindrücklichen Berichte. Ich arbeite seit langen Jahren als Trauerbegleiterin und erlebe in den momentanen Zeiten, was es mit Menschen in Trauer macht, wenn sie sich nicht treffen und berühren können. Ganz unabhängig von jeglicher Pandemie trauern viele im Verborgenen, findet Sterben nur für die Betroffenen statt. Wenn wir wenigstens das in diesen Zeiten begreifen würden – dass uns der Tod berühren kann, egal ob wir ihn „anfassen“ dürfen oder nicht. Sterben trägt keine Maske. Wir sind ihm direkt ausgesetzt. Jederzeit.

Hildegard Meier, Köln

Moment der Wirklichkeit

Wenn man alten Menschen ihre Kontakte nimmt und sie dann auch noch einsam sterben lässt, dann ist das für mich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darin, das als Schutzmaßnahme zu bezeichnen, kann ich nur Zynismus erkennen. Was ist denn an einem Leben, eingesperrt im eignen Zimmer, noch lebenswert? Wo ist denn da noch Lebendigkeit möglich? Das Einzige, was man einem Sterbenden geben kann, ist, da zu sein. Dann werden oft im letzten Moment viele Dinge noch rund. Und als Zurückbleibender kann man einen Moment der Wirklichkeit erleben, wie das sonst so dicht nur bei Geburten und manchmal in der Liebe möglich ist. Puri Fey, Köln

Der Trost der Musik

Bei der Gedenkfeier für die an Corona Verstorbenen im Berliner Konzerthaus konnte man Streicher das Adagio von Samuel Barber vortragen hören. Die Inspiration, Kraft, Tröstung und der Ausdruck tiefer Freude, die von dieser Musik ausgehen, wird allzu oft und allzu leicht ausgeblendet. Doch eine zivilisierte Gesellschaft, für die wir uns halten, sollte niemals auf sie verzichten.

Knut Hartmann, Hartmann

Trauer zweiter Klasse?

Liebe tazler, euer Titelblatt macht mich traurig und wütend. Ich habe kürzlich meinen Liebsten verloren, durch einen unerwarteten Herzinfarkt. Ein Mensch stirbt, Trauernde bleiben zurück, aber euer Mitgefühl gilt ausschließlich den Coronatoten und ihren Angehörigen! Als wären wir anderen Trauernde zweiter Klasse! Ich konnte mich von meinem Mann nicht verabschieden. Er ist innerhalb weniger Minuten gestorben, keiner war bei ihm. Name ist der Redaktion bekannt

Man möchte mitweinen

Beim Lesen dieser Schicksale kommen viele Emotionen hoch. In erster Linie das Gefühl mitzuweinen. Und dann bleiben nur Trauer und Fassungslosigkeit. Noevil

„80.185: Wohin mit der Trauer? Corona hat unzähligen Menschen ihre Mutter, ihren Vater, ihre Kinder und besten Freun­d:in­nen genommen. Zur Erinnerung an die Verstorbenen findet am 18. April ein bundesweiter Gedenktag statt“, taz vom 17./18. 4. 21

„Ich bin gespalten …“

Ich bin gespalten an diesem staatlich inszenierten bundespräsidentialen Gedenktag für die Covid-19-Toten. Nicht, weil ich etwa die 80.000 Toten für unerheblich halte, sondern ich bekomme Bauchschmerzen, weil hier eine Art schicksalhaftes „Massensterben“, eine unglaubwürdige öffentliche Gewichtung gesetzt wird und Betroffenheitsschwindel in Wahlkampfzeiten eine Rolle spielt.

Am 16. April stand wieder eine erschütternde Reportage in der taz über das in Europa (!) jahrelange Dahinvegetieren und Verrecken tausender Flüchtlingsfamilien auf Lesbos und anderswo: „Ein Arzt über das Lager Kara Tepe auf Lesbos: Suizidgedanken gehören zur Tagesordnung.“

Für mich ist es unerträglich, dass kein Staat Europas bisher meines Wissens auch nur einen Gedenktag für die seit Jahren im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlinge beschlossen hat.

Die staatliche „Coronatrauer“ erscheint mir bigott! Eine große Anzahl von Covid-19-Toten beruht auf bürokratischem und politischem Versagen. Also keine Staatsgedenktage? Nein! Als Pfarrer habe ich eine klare Vorstellung: Ein reiner „Buß- und Besserungstag“ ist dringend erforderlich! Und das nicht nur als Staatsbuße für alles verkehrte Handeln während der Pandemie, sondern erst recht schreit das Menschenrechtselend Europas förmlich nach Buß- und Besserungstagen der Industrienationen für „christlich-abendländische“, jahrhundertelange profitgierige Ausbeutung und Menschenschinderei. Das vielfache, wohl unnötig frühe Sterben nach Ansteckung mit Covid-19 erfüllt mich auch mit Traurigkeit, aber gerade als ewiger taz-Leser kann ich mit meinen 77 Jahren nicht anders, als täglich noch viel heftigere Trauer und ohnmächtige Wut über diese ungesühnte himmelschreiende Ungerechtigkeit zu empfinden.

Michael Rannenberg, Berlin

Gedenktag wie im Krieg?

Welches Signal soll uns ein Gedenktag für Menschen geben, die mit oder an Covid-19 gestorben sind?

Gedenktage werden vor allem für Opfer von Gewalt und Kriegen gefeiert. Ist ein unkontrollierbares Virus in den Krieg mit uns gezogen, gegen das wir heroisch kämpfen, auch wenn es Opfer kostet?

Ich jedenfalls trauere um meine Schwester, die 2018 mit 57 Jahren an oder mit Krebs gestorben ist. Sie ist eine von 200.000 Menschen (RKI), die jährlich an Krebs sterben und die keinen Gedenktag bekommen. Obwohl viele Krebserkrankungen gesellschaftliche Ursachen haben.

Um jetzt dem Vorwurf der Pietätlosigkeit gegenüber Menschen, die an oder mit Covid-19 gestorben sind, und deren Angehörigen vorzugreifen: Der Tod geliebter Menschen ist schmerzlich, egal, wie sie gestorben sind. Und mein Mitgefühl gehört allen, die den Tod von nahen Menschen betrauern. Matthias Schäfer, Ettenheim

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen