wortwechsel: Impfdesaster – ha’m wir nicht! Bitte positiv denken
Pannen, ja, aber vieles läuft gut in der deutschen Coronapolitik, das wird nur meist nicht gesehen, schrieb taz-Redakteur Michael Brake: „Jeder Schwung wurde zerjammert“
„Coronabekämpfung in Deutschland: Es gibt kein deutsches Impfdesaster. Nein, wir sind nicht ‚Impfweltmeister‘. Aber vieles läuft gut. Wir sollten die Schwarz-Weiß-Malerei lassen, auch für unser eigenes Wohlbefinden“,
taz vom 3./4./5. 4. 21
Komplexe Logistik
Vielen Dank für den Artikel zum Impfdesaster! Er hat mir total aus dem Herzen gesprochen. Ja, USA und Israel sind aus verschiedenen Gründen schneller, und sicherlich ist nicht alles optimal gelaufen, aber Desaster ist vollkommen übertrieben. Bei der Komplexität der nötigen Logistik ist es ja auch klar, dass da Fehler passieren werden. Man kann es doch als positiv sehen, dass, immerhin drei Monate nach Zulassung, die Bewohner der allermeisten Heime und Leute über 80 geimpft sind und dass es nun wirklich vorangeht. Wenn bis Juni/Juli tatsächlich die meisten eine erste Dosis erhalten, sollte das als großer Erfolg gewertet werden. Ich finde es sehr schade, dass dieser Riesenerfolg der Medizin so „vermiest“ wird.
Beate Heineman, Hamburg
Warten, warten, warten
Wer sich noch AstraZeneca impfen lässt? Aber holla, da stehen wir Schlange! Alle unter 70-Jährigen unter meinen Bekannten hoffen, dass das Chaos zumindest für uns ein Gutes hat: Sommerferien gerettet! Einziges Problem: das denken sich vermutlich alle, und dann muss ich doch ganz lange warten … Silke Karcher, Berlin
Gemeinsam?
Es zeigt sich immer deutlicher, dass es in dieser Pandemie schon lange nicht mehr um den gemeinsamen Kampf gegen eine weltweite Seuche geht. Wie in anderen Bereichen sind sich Regierungen selbst am nächsten. Warum sollte es also bei den Vakzinen anders sein? Mir gibt es für ein künftiges Miteinander allerdings Hoffnung, dass wir hierzulande nicht sagen ‚„Deutschland zuerst“, sondern gemeinsam mit der EU Impfstoffe bestellen und verteilen. Vor dem Hintergrund, dass weit über 30 Staaten dieser Erde bisher keine einzige Impfdosis erhielten, jammern wir wegen des nur langsam anziehenden Impftempos allerdings auf hohem Niveau.
Achim Bothmann, Hannover
Planvoll?
Kein verheerendes Desaster, keine Kapitulation, aber in der Zivilbevölkerung Angst und Schrecken vor dem Feinde Covid-19 und Skepsis, Vertrauensverlust. Der französische Präsident Macron hatte die Bevölkerung mit Kriegsassoziationen auf die Situation einzuschwören versucht. Die Disziplin der Bürgerschaft sieht hüben wie drüben etwas weniger nach Drill- und Befehlsgewalt-Azeptanz aus. Erste Perspektive: die des senilen Menschen, der die Bürokratie-Prozedur über sich ergehen lässt, ohne Hilfe im Impfzentrum erscheint, in einer langen Schlange eingereiht wartet, aber irgendwann nicht mehr stehen kann. Ein fahrbares Vehikel wie im Krankenhaus oder Altenheim – Fehlanzeige. Die zweite Perspektive: Lockdown für Heimbewohner:innen im Frühjahr 2020 präventiv, im Herbst wacker wiederholt, wochenlang ultrastreng. Nach (!) der möglichen Impfung aller zum ersten Male Tests bei Besucher:innen. Planvoll? Perspektive zwei: der Impfling, der der Behörde vertraut und dann von A nach B geschickt wird, mit falschen Papieren nach automatisierter Registrierung von Doc X zu Doc Y wandert, zurück zur Registrierung mit Switch des Impfstoffes und am Ende froh ist, dass sein zweiter Termin zur Impfung jetzt gegenüber dem Ausdruck daheim um sechs Wochen vorverlegt wurde. Masterplan? Wohl kaum Raritäten, diese aktuellen Beobachtungen. Martin Rees, Dortmund
Doch, die Politik versagt
Wie kurzsichtig! Niemand meint die Impfärzte oder Pfleger oder Heimleiter, wenn von Impfdesaster die Rede ist. Man meint die Politiker, die zuerst mal an den eigenen Profit gedacht haben und das immer noch tun.
Eddie Poole auf taz.de
Selbst wenn ein kleiner Staatsbeamter im Frühjahr gesagt hätte, wir müssen mehr Impfstoff bestellen, hätte er von vorgeordneter Stelle bewiesen bekommen, dass diese Meinung Quatsch ist, weil nach starren Regeln gehandelt wird.
Schängel auf taz.de
Man kann sich die Welt schön reden, was ja auch menschlich ist. Die Leistung der Wirtschaft, der Impfstoff-Forschung hat doch niemand kritisiert. Aber das komplette Versagen in Deutschland ist die Kombination von mangelhafter Impfstoffbeschaffung, mangelhaftem Aufbau einer digitalen Infrastruktur (seit Jahren) und einer überbordenden Bürokratie, die jede gute Idee abwürgt. Kristina Ihle auf taz.de
Es ist wichtig, den frühestsinnvollen Termin für die Zweitimpfung anzupeilen und nicht die maximal mögliche Zeitspanne auszureizen, um Impfstoffmangel zu kaschieren und schnell auf vorgegaukelte 20 Prozent zu kommen. Denn das ist Selbstbetrug. Eistaucher auf taz.de
Oftmals ist Abwägung nur ein Problemvermeidungsverfahren, in dem etwas so lange verschoben wir, bis es vom Radar verschwindet. Ich verstehe die Intention dieses Artikels, aber daraus den Schluss zu ziehen, es ist doch eigentlich ganz okay, halte ich für nicht nachvollziehbar.
Nutzer auf taz.de
Der Geist der Debatte
Das Bild vom aufstampfenden Kleinkind ist passend. Ich hoffe, dass mehr differenzierte Stimmen zum Impfen in nächster Zeit lauter werden. Von Panik und Enttäuschung unterfütterte Meinungen hören wir alle gerade genug. Und dass niemand darüber sprechen will, dass absehbar jede Dosis, die wir verabreichen, an einem anderen Ort der Welt bitterlich vermisst wird, spricht Bände über den Geist der aktuellen Debatte. Gregor Brysch
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