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wortwechselEuropas Zukunft und Superlative der Reporter

Politiker:innen nennen den EU-Gipfel historisch, Leser:innen sorgen sich um Machtverschiebungen im Bündnis und kritisieren die Prinzipienschwäche der Grünen

Förderal statt national

„Der Gipfel der Uneinigkeit“,

taz vom 22. 7. 20

Ich bin für ein solidarisches Europa und einen europäischen Länderfinanzausgleich, wie es in jedem föderalen Bund praktiziert wird. Ein Stück davon findet nun in der EU statt, gut so! ABER auch bei diesem Deal haben sich wieder fundamentale Probleme materialisiert: Die Europäische Union ist immer noch vor allem eine Föderation von nationalen Regierungen, die hauptsächlich eigene nationale Interessen verfolgen und über die Köpfe der Parlamente entscheiden. Diese EU bedeutet eine enorme Machtverschiebung in Richtung Exekutive.

Da EU-Entscheidungen die Stimme jeder Regierung benötigen, kann jede Regierung wesentliche Entwicklungen in der EU blockieren. Obwohl osteuropäische Staaten wie Polen und Ungarn das Feld der Rechtsstaatlichkeit längst verlassen haben, dürfen sie weiterhin Europa mitgestalten. Ich bin nicht für eine EU der Regierungen, sondern für eine EU mit einem starken Parlament der Regionen. Der Nationalismus ist immer noch zu stark, um ein echtes Europa zu ermöglichen. Es braucht eine EU-Grundverfassung, die den äußersten gemeinsamen Rahmen in der Vielfalt definiert. Davide Brocchi, Köln

Mehr als Grammatik

„Sommerschlussverkauf statt Solidarität“, taz vom 22. 7. 20

Ich weiß nicht, vielleicht ist es ja einfach nur das Jonglieren mit Zahlen der Superlative, das JournalistInnen ebenfalls zu Superlativen greifen lässt. „Der quälendste Gipfel aller Zeiten“ Gerade mal zwei Sätze weiter „Das größte Finanzpaket aller Zeiten“; und am Ende noch „Das größte Hilfspaket aller Zeiten“.

Ich frage mich immer, woher wir anscheinend schon wissen, was kommen soll, denn das beinhaltet die Verwendung dieses Begriffes. Vielleicht wollen wir uns ja einfach nicht vorstellen, dass es eine Zukunft gibt, die uns eben nicht einfach zur Verfügung steht, auch wenn wir grammatikalisch begriffen haben, wie Futur 2 geht? Wie wenig wir allein schon die Zeichen der momentanen Zeit begriffen haben, zeigt dieser EU Gipfel allerdings vortrefflich! Hildegard Meier, Köln

Keine bessere Zukunft

„Sommerschlussverkauf statt Solidarität“, taz vom 22. 7. 20

Erik Bonse, der Beobachter vor Ort resümiert: „Den Weg in eine bessere Zukunft hat dieser Gipfel nicht gebracht.“ Diese bessere Zukunft wird es auch nicht geben, weil Überbevölkerung, Artenschwund, Klimawandel, und Ressourcenknappheit die Taktgeber sind.

Sofern darüber hinaus noch Luft ist für Egos, steht Europa nicht abgeschlagen beiseite. Die mit uns im Wettbewerb stehenden Nationalstaaten – China, USA, die Brics-Staaten, et cetera – haben alle gegen ihre spezifischen Hürden anzukämpfen.

Was Europa als positives Beispiel sein könnte (bessere Zukunft) ist unermesslich, daher illusorisch.

Klaus Warzecha, Wiesbaden

Kein Rückgrat

„Wo ist die grüne Linie?“,

taz vom 21. 7. 20

Die Fundamentalkritik an den Grünen führt noch nicht weit genug. Denn die Attribute „schweigsam“ und „biegsam“ gerade bei unbequemen Themen sind leider beileibe nicht nur ein Problem in Hessen, wenn man nur einmal an Hamburg denkt, wo die Partei bis heute keine klare Haltung zum unverantwortlichen G20-Gipfel und dessen nur unzureichende politische Aufarbeitung bezogen hat. Zwischenzeitlich sogar den Bau eines neuen Kohlekraftwerkes oder die Beibehaltung von Studiengebühren auch für sozial schwache Studierende mitverantwortet.

Deshalb besteht die entscheidende Achillesferse hier vor allem in einem grundsätzlich neu definierten Politikverständnis unter der Devise eines „prinzipienlosen Pragmatismus“, das zunehmend den alten ideologischen Markenkern ablöst! Rasmus Ph. Helt, Hamburg

Vermischung

„Licht ins polizeiliche Dunkelfeld“,

taz vom 21. 7. 20

In der Einleitung wird nochmal auf die Notwendigkeit einer Studie zum Racial Profiling hingewiesen, die Innenminister Seehofer ja ablehnt. Ja, wir brauchen diese Studie! Nochmal zum Verständnis: Racial Profiling ist die anlasslose Kontrolle von Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe. Im Anschluss spielt das fast gar keine Rolle mehr.

Es werden 24 Fälle dokumentiert, bei denen pauschal von getöteten Menschen gesprochen wird, die „von Rassismus betroffen“ waren, ohne dass dazu Beweise angeführt werden. Das trägt nicht zur sachlichen Debatte bei. In der Reportage werden meiner Meinung nach leider zwei sehr wichtige Themen der derzeitigen Debatte unzulässig vermischt: Racial Profiling und Todesfälle bei Polizeieinsätzen, die durch staatliche Behörden nicht lückenlos aufgeklärt werden. Dadurch wird eine wichtige sachliche Auseinandersetzung mit beiden Themen zumindest behindert. Andrea Groll, Groß-Gerau

Zweierlei Maß

„Keine Spur zu den Datenabfragern“,

taz vom 21. 7. 20

Man müsste sagen: „Das schlägt dem Fass den Boden aus!“ – Aber so ein großes Fass gibt es im ganzen uns bekannten Universum nicht: Im Oktober 2019 erfährt die Staatsanwaltschaft Hessen von der Todesdrohung an İdil Baydar; im Februar 2020 von der an Janine Wissler. Beide haben ihren Ursprung in der Abfrage von hessischen Polizeirechnern. Am 20. Juni 2020 findet die erste (!) „Vernehmung“ eines (!) Polizeibeamten statt.

Bei von einer Kassiererin unterschlagenen Pfandbons im Centbereich ging das deutlich schneller. Aber es waren da ja auch keine „Coronazeiten“. Für wie dumm wollen sie uns eigentlich noch verkaufen? Gerd Kolb, Viernheim

Mehr Transparenz

„10 Millionen Euro Strafe“,

taz vom 19. 7. 20

Ein Meilenstein, die Wirkung eines Leuchtfeuers, wenn Urteile Bestand haben, Entschädigungen auch gezahlt werden und bei den Geschädigten als Hilfe ankommen. Das gilt analog selbstverständlich auch für die Nutznießer:innen von Ausbeutung in Drittländern – bis hin zu moderner Sklaverei – mit Firmensitz hier im „sicheren“ Europa. Ein Lieferkettengesetz samt Sanktions- oder Strafbewehrung könnte international endlich Transparenz schaffen und zur Solidarität mit den Ärmsten der Armen beitragen. Die Verantwortung für viele Produktionsprozesse liegt teilweise auch bei Kund:innenen inkl. Endverbraucher:innen. Geiz ist eben nie wirklich geil, sondern oft pure Gier.

Martin Rees, Dortmund

Paartherapie

„Vor Argumenten warne ich immer“,

taz vom 18. 7. 20

Der Aufmacher zu diesem Streitgespräch enthält den Satz der Paartherapeutin Berit Brockhausen: „[...]wie Paare Kurse in Gewaltfreier Kommunikation machen und dann diese Regeln als Waffen im Streit einsetzen. Sie sagen dann, ich habe das Gefühl, dass du mich demütigen willst. Das ist keine Ich-Botschaft, das ist kein Gefühl, das ist ein Vorwurf.“ Richtig, in der Gewaltfreien Komunikation (GFK) nennen wir das ein Pseudogefühl, und wenn von Regeln der GFK die Rede ist, die auch noch als Waffe eingesetzt werden können, kann es sich nur um Pseudo-GFK handeln.

Die GFK kennt keine „Regeln“. Streit hat mit Recht-haben-wollen zu tun, und dahinter steht das Bedürfnis, angenommen zu sein, wie man ist und vertrauen zu können, dass man ernst genommen wird.

Der Fokus der GFK auf Bedürfnisse nimmt einem Streit die Wucht und verhindert Verlierer. Gerade in der Paartherapie sehr hilfreich.

Simran K. Wester, Hamburg

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