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wortwechselWer entscheidet, was Fakt oder Fake ist?

Nicht jede Kritikerin trägt Aluhut, aber Saisonarbeit in der Agrarindustrie kann menschenunwürdig sein. Kinder wollen zur Schule und Schweden ist streng mit Konzernen

Neue Schimpfwörter

„Zufälle gibt es nicht“,

taz vom 20. 5. 20

Ich hätte mir wirklich nicht vorstellen können, dass ich in der taz das Wort „Grundrechtspurist“ als offenbares Schimpfwort lesen muss. Früher, dachte ich, galten Grundrechte einmal nahezu absolut. Bis heute dachte ich, dass sie zumindest nur aus sehr gutem Grund eingeschränkt werden dürften. Heute lernte ich, dass, wer auf sie besteht, kein legitimer Diskussionspartner mehr ist, sondern ein armer Irrer, der mit „Impf- und Staatsskeptikern“ in einen Topf gehört, irgendwie Bäh! Irgendwie ist das nicht mehr mein Grundrechteverständnis.

Matthias Schulz, Hamburg

Politikum Staatshilfe

„Schweden watscht Konzerne ab“,

taz vom 8. 5. 20

Dass Konzerne in Deutschland Staatshilfen beanspruchen, aber gleichzeitig Dividende ausschütten, ist ebenso inakzeptabel wie Steuerflucht in Steuerparadise. Die Refinanzierung der Corona­krisenkosten wird zur Nagelprobe für unsere Demokratie: Werden dieses Mal die Lasten fair auf alle Schultern verteilt? Oder muss der „kleine Mann“ die Kosten wieder weitgehend alleine tragen und mit weiterem Abbau von Sozialstaat und öffentlicher Daseinsvorsorge bezahlen? Es ist eine echte Chance für die Politik, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen oder endgültig zu verspielen! Die Wähler werden sehr genau hinschauen.

Boris Bergmann, Berlin

Die richtigen Fragen

„Die drei Fragezeichen“,

taz vom 15. 5. 20

Die Frage müsste lauten: WIE können WIR die Lücke ausgleichen? Allerdings kann diese Frage nur dann so gestellt werden, wenn vorher alle gleichberechtigt von Steuereinnahmen profitieren. Wenn Autobauer hauptsächlich mit Abwrackprämien gestützt werden, aber kein Geld an Bedürftige in Kultur, Pflege, Bildung und Hartz IV geht, dann ist die Frage richtig: WER soll das bezahlen? Für mich eindeutig beantwortbar! Uta v. Hahn, Bad Abbach

Kinder ohne Schule

„Unterstützung für Eltern verlängert“, taz vom 20. 5. 20

Das Schulgesetz schreibt eine allgemeine Schulpflicht vor. Ich als Erziehungsberechtigte*r habe dafür zu sorgen, dass mein Kind in die Schule geht. Versäume ich es, dieser Pflicht nachzukommen, und mein Kind bleibt der Schule fern, ist dies eine Ordnungswidrigkeit, die ein Bußgeld oder eine Freiheitsstrafe zur Folge haben kann. Wie sieht es mit dem Recht der Kinder auf Bildung aus? Die Kinder der Klassenstufe 3 sind weiterhin zu Hause. Sie haben seit zwei Monaten weder Englischunterricht noch Kunst oder Sachkunde gehabt. Ich als engagierte Mutter habe das „home schooling“ mit drei Kindern sehr engagiert hier angefangen mit Struktur und Pausen und Belohnungssystem und fachlichem Input. Als ich mit meiner Neunjährigen ohne die beiden anderen Kinder an ihren Mathematikaufgaben arbeiten wollte, hat sie getobt. In der Notbetreuung arbeitet sie sehr engagiert an Aufgaben. Das heißt: Schule bedeutet Lernen. Zu Hause ist zu Hause. Inzwischen ist mir egal, ob meine Tochter ihre Aufgaben macht. Die Kinder machen die Aufgaben, um die Aufgaben zu machen. Ohne Rückmeldung, ohne Sinn. Ich sorge dafür, dass meine Tochter so viel wie möglich mit anderen Kindern draußen ist. Michaela May, Berlin

Es ist kompliziert

„Feminismus macht Männer besser“,

taz vom 19. 5. 20

Feminismus macht natürlich patriarchal geprägte Männer und Frauen zu besseren Menschen. Weil Feminismus die Infragestellung der patriarchalen Gewaltkultur bedeutet. Viele dieser Männer und Frauen verstecken sich hinter ihrer biologischen Identität, anstatt ihre sozial konstruierte zu reflektieren und zu korrigieren. So können beide an den Vorteilen ihrer biologischen Determination partizipieren, ohne sich politisch und sozial positionieren zu müssen. Während meine Frau die „Frauen dieser Welt gerettet hat“, habe ich die Reproduktionsarbeit übernommen und finde mich wie so viele andere Mütter in der Rentenfalle wieder. Ich fühle mich heute als Feminist, weil ich möchte, dass die Ungerechtigkeiten aufhören. Als Feminist sitzt man allerdings zwischen allen Stühlen. Als Verräter an der männlichen Identität oder als Dieb der weiblich feministischen Identität.

Klaus-Peter Klauner, Brühl

„Brutale Dialektik“

„Virus im Schweinesystem“,

taz vom 12. 5. 20

In der deutschen Agrarindustrie herrschen seit der EU-Osterweiterung frühkapitalistische Arbeitsverhältnisse: Hire-and-fire-Verträge, menschenunwürdige Arbeits- und Unterbringungsbedingungen. Das Virus wirft, ein Schlaglicht auf diesen lange bekannten Missstand. Was mir noch fehlt, sind die Stimmen der Betroffenen, ausgebeutete Menschen aus osteuropäischen Ländern, die unter großen Entbehrungen und nun zusätzlicher Selbstgefährdung zu uns kommen und uns mit billigem Spargel und Schweinefilet eindecken, während ihre Kinder und Eltern zu Hause auf sie verzichten müssen. Gesa Mackenthun, Bad Doberan

Kein Trost für Gläubige

„Bierfass im Garten“, taz vom 21. 5. 20

Die katholische Kirche hat den Feiertag Christi Himmelfahrt wohl endgültig dem „Vatertag“ geopfert. Der Niedergang der Kirchen wurde durch Corona, beziehungsweise durch den „Lockdown-Regierungsstil“ unserer Politiker und deren Repressalien am laufendem Bande, noch mehr befeuert. Gerade als Trostspender haben die Kirchen hier auf ganzer Linie sehr kläglich versagt.

Ulrike Schwarz, Büchenbach

Gefährliche Beschwörer

„Wer’s glaubt, wird selig“,

taz vom 20. 5. 20

Es ist schon wirklich erschreckend, mit anzusehen, wie sich die sogenannten Verschwörungstheoretiker in unserer Gesellschaft ausbreiten und ihre abstrusen Thesen hinausposaunen. Viele der Hygiene-Demonstranten, die sich nunmehr auf das Grundgesetz berufen, haben zumeist keine Ahnung von den wissenschaftlichen Zusammenhängen und von den Schwierigkeiten, wie man mit dem Corona-Virus umzugehen hat. Es geht ihnen hier nicht um die berechtigte Kritik an Politikern und Virologen, denen sicherlich in den letzten Monaten einige Fehleinschätzungen in der Gefährlichkeit des neuartigen Virus unterlaufen sind, sondern vielmehr um die emotionale Aufladung von ganzen Gesellschaftskreisen, die den Verstand ausgeschaltet haben und sich nicht bewusst werden, dass dies auch noch von zumeist rechtsradikalen Kräften unterwandert wird. Das ist die eigentliche Gefahr für unsere Gesellschaft, die die Politik nunmehr stark ins Visier nehmen muss! Thomas Henschke, Berlin

Keine Angstmache

„Nicht verharm­losen. Relativieren“,

taz vom 20. 5. 20

Was mich am meisten an den Äußerungen der beiden Ärzte stört, ist die Behauptung einer medialen Angstmache durch Berichte aus Norditalien. Ich bin öfter dort und fand die Berichterstattung in deutschen Medien eher zögerlich und verharmlosend. Die Panik, die speziell in der Lombardei alle erfasste, als die Ansteckungen exponentiell stiegen, das Gesundheitssystem überlastet war und niemand wusste, wohin das alles noch führen könnte, wurde nicht übermittelt. Sicher unrealistisch, aber wie wäre es, wenn sich die Ärzte ein eigenes Bild gemacht hätten, indem sie zum Beispiel ihren Kollegen dort Unterstützung angeboten hätten. Der Eindruck, dass Deutsche jegliches Mitgefühl vermissen lassen, wäre widerlegt worden. Christoph Rommel, Lorch

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