piwik no script img

wortwechselDas Coronavirus ist nicht für alles verantwortlich

Distanzlernen gäbe es ohne Corona nicht, neu ist auch der Wunsch nach Selbstisolation. Flüchtende wegen des Virus nicht zu retten, kann nicht als Argument gelten

Distanzlernen

„Kein Laptop für Adil“,

taz vom 14. 4. 20

In der derzeitigen Situation die Debatte über die Finanzierung der Digitalisierung beim schulischen Lernen auf Kosten der Bildungsbenachteiligten zu führen, halte ich für zynisch. Im Moment sind die Schulen gefragt. Adil ist Schüler einer Gesamtschule, einer Schule des gemeinsamen Lernens aller Kinder. Inklusive Schule sorgt für den Abbau von Barrieren. Fernlernen kann man nur mit Laptop oder vielleicht noch mit einem Tablet – ein Handy reicht dafür nicht. Ob Adil Zugang zu einem solchen Gerät hat, müssen die Klassenlehrer*innen wissen oder erkunden. Das ist ihr Job. Wenn nicht, sorgen sie, in Absprache mit den Eltern, dafür, dass der Junge für die Zeit der Schulschließung ein Leihgerät bekommt.

Michael Wildt, Münster

Freiwillig weggesperrt

„Sperrt uns ein!“,

taz vom 11. 4. 20

Vermutlich wird es mit dem Einsperren schneller gehen, als manch einer denkt. Für die wohlhabenden Pensionäre in ihren Eigenheimen mit Gärten, die bei Frau Haarhoff um diese Maßnahmen bitten, ist es ja sicher auch ganz nett, sich von Restaurants und Lieferdiensten zu Hause bewirten zu lassen. Die Altersarmen möchte man von den zusätzlich vorgeschlagenen finanziellen Abgaben für Alte ausnehmen. Und dann schämen sich die Vertreter der reichen Altengeneration auch, durch ihre Vielfliegerei die Umwelt ruiniert zu haben. Gut, dass es dann wenigstens in Zukunft keine Billigflüge mehr gibt. Denn wenn die Alten eingesperrt sind, kommt ja niemand mehr auf die Idee, am Wochenende mal kurz nach Barcelona oder zum Ballermann zu jetten. Die unter 60-Jährigen sind ja bekannterweise alle Fridays-for-Future-Aktivisten.

Heike Jellen, Düsseldorf

Werte vor Profit

„Wir waren blind“,

taz vom 15. 4. 20

Der Markt bewertet danach, was am meisten Geld bringt beziehungsweise wo sich mit geringstem finanziellen Einsatz am meisten Geld abschöpfen lässt. Als das augenblickliche Beispiel für eine Schwachstelle des Kapitalismus nennt Martin Voss das Gesundheitssystem. Gerade hier lässt sich aber das Wirken des Kapitalismus sehr deutlich erkennen. Statt „Gesundheit geht vor“ hieß es, Krankenhäuser marktwirtschaftlich zu optimieren, was den Pflegenotstand zur Folge hat. In den gesellschaftlichen Bereichen wie Bildung, friedliches Zusammenleben, kulturelle Einrichtungen, bezahlbares Wohnen, Umwelt mit sauberer Luft, Wasser und Energie et cetera steht in unserer Marktwirtschaft immer die Ökonomie an erster Stelle. Für alles andere ist kein Geld da. Jetzt heißt es erstmals ganz offiziell „Es geht um Leben und Tod“. Aber das geht es auch in den anderen Bereichen, und da hatte bisher immer das Geld den Vorrang vor dem guten Leben. Es ist keine Krise des Kapitalismus, sondern er ist der Grund für die Krise.

Was wir daraus lernen sollten, ist die Notwendigkeit, unsere Gesellschaft umzubauen in ein System, das den Werten des Lebens Vorrang gibt.

Friederike Bleul-Neubert, Voerde

Rückzug?

„Sperrt uns ein!“,

taz vom 11. 4. 20

Verwundert bin ich nicht darüber, was Ängste in einer Gruppe oder einem Volk auslösen können. Schamgefühle bei älteren Menschen, die unter dem Eindruck ihrer Sorge und Angst stehen, ihnen stünde kein langes und gut versorgtes Leben zu, weil Sie sich für politische Fehlentscheidungen, die zu Klimakatastrophen geführt haben, verantwortlich fühlen. Aggressionen bei jüngeren Menschen, die sich um ihre berufliche und private Entwicklung sorgen und einem viel beschworenem Generationenvertrag mit einigem Unbehagen gegenüberstehen. Die Pandemie, die ein nicht mehr zu verleugnendes Gefühl von Ohnmacht und Begrenztheit in vielen hinterlässt, ermöglicht vielleicht auch ein Umdenken und Reflektieren unserer Lebensweise. Wünschen würde ich mir ein „ökologisches Epizentrum“, von dem ausgehend wir über eine Veränderung in den Gesellschaften GEMEINSAM nachdenken, über nationale Interessen hinaus. Vielleicht mit einem grundlegenden Anspruch, Vielfalt, Kreativität und Entfaltung zu ermöglichen und nach ­einer wirtschaftlich und sozial gerechteren Lebensweise zu suchen. Utopie? Nein, ich denke nicht, das Know-how haben wir!

Elke Wetzel, Frankfurt a. M.

Im Hamsterrad

„Das Leben auf Corona Island II“,

taz vom 14. 4. 20

Im März habe ich ein erstes Gänseblümchen gesehen und mich gefragt, ob es das letzte Gänseblümchen ist, das einfach so, von sich aus, aus der Erde herauswächst. Die Welt ist komplett aus den Fugen geraten. Das zeigt sich umso deutlicher an der weltweiten Corona-Epidemie. Zuerst war das Virus nur in China, da dachte man: Die mit ihren Fischmärkten und Fledermäusen! Aber dann war das Virus überall. Weltweit. Jetzt sollen wir alle zu Hause bleiben und die Hände waschen. Es gibt verordnete Ausgangsbeschränkungen, die polizeilich überwacht werden, Leitlinien der Bundesregierung zur Beschränkung sozialer Kontakte. Das Virus muss jetzt für vieles herhalten, was doch schon länger den Bach runtergegangen ist. Jetzt endlich haben die Menschen kapiert, dass der ökonomische Profit nicht über allem stehen kann, dass es menschen- und lebensfeindlich ist, sich permanent im Hamsterrad von grenzenlosem Wachstum zu drehen. Schwere, von Menschen gemachte Krisen melden sich doch schon länger zu Wort, Klimakatastrophe, Artensterben, Armut und Hunger, Dieselabgasskandal, marode Gesundheitssysteme, Pflegenotstand und und und. Haben wir da irgendetwas davon wirklich verstanden?

Renate Staudenmeyer, Berlin

Komplexe Probleme

„Sperrt uns ein!“,

taz vom 11. 4. 20

Es klingt so einfach: Die Alten bleiben freiwillig zu Hause, die Jungen dürfen raus. Leider passen einfache Lösungen für komplexe Probleme meistens nicht. Die „fitten Alten“ sind ja nur ein kleiner Teil des Problems. Sehr eindringlich habt Ihr berichtet von pflegenden Angehörigen, denen im Moment jede Unterstützung wegbricht: keine Tagespflege, keine Krankengymnastik, keine Ergotherapie, keine ehrenamtlichen HelferInnen. Ich selbst arbeite in einem Wohnheim der Lebenshilfe, geistig behinderte SeniorInnen und Arbeitende leben zusammen. Die Werkstätten sind zurzeit geschlossen. Sollen wir uns auf unbestimmte Zeit mit den BewohnerInnen im Wohnheim einschließen? Da gäbe es sicher noch viel mehr Beispiele für nicht durchführbare Trennungen von Jung und Alt.

Eva Pantalong, Langenbach

Andere Prioritäten

„Edi Rama ist Mister Corona“,

taz vom 11. 4. 20

Die albanische Regierung hat harte Maßnahmen ergriffen, die bisher greifen: 25 Tote und knapp 500 Erkrankte. Die Albaner scheren sich normalerweise nicht um Regierungsmaßnahmen; diesmal tun sie es, nicht nur wegen hoher Strafandrohungen. Es gab keine „politische Durchleuchtung des Verfassungsgerichts“, sondern eine auf internationalen Druck beschlossene Justizreform, deren Kernstück die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte auf Korruption und Verbindung zur Kriminalität ist. Die von der Regierung zugelassenen Ausnahmen für bestimmte wirtschaftlich bedeutende Betriebe mag man kritisieren; auch die Regierung Rama hat Korruption nicht in den Griff bekommen, selbst Sünden begangen. Aber man sollte akzeptieren, dass in dem noch immer armen Balkanstaat manche Prioritäten anders gesetzt werden als in Deutschland.

Michael Schmidt-Neke, Kiel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen