wortwechsel: Was heißt hier „linksradikal“?
Heute prüft das Bundesverwaltungsgericht Leipzig das Verbot der Plattform linksunten.indymedia. Was sagen taz LeserInnen zum Protest und zur Gegenwehr – mit Gewalt?
„Linksradikale Gewalt in Leipzig:
Tag (((i))) eskaliert“, taz vom 26. 1. 20
Wir berichten selbst!
Auch die taz war zu Beginn eine linksradikale, inzwischen ist sie eine linksliberale bürgerliche Zeitung. Linksunten war ein selbst organisiertes Medium, wo die Akteure noch selbst über sich berichteten; dieses Medium wurde uns genommen. Wir brauchen keine Berichterstattung der bürgerlichen Presse. Indymedia ist gegründet worden in Abgrenzung auch zur linksliberalen Presse. Die Presse war schon immer Ziel auf linksradikalen Demos und wird es auch immer bleiben. Wir sind der Strafverfolgung ausgesetzt, weil wir Widerstand leisten, da können wir keine Tatbeobachtung und somit Kameras et cetera gebrauchen. Schon die Suffragetten haben Schaufensterscheiben eingeworfen, und die wollten nur wählen dürfen. Wir wollen das Ende von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus, dafür ist der Widerstand eigentlich noch recht zurückhaltend. Auch wenn es um Pressefreiheit geht, ist das kein Widerspruch. Wir wollen selbst über uns berichten, das müssen wir uns erkämpfen, auch gegen die bürgerliche Presse. Wir brauchen eure Berichte nicht. Dass eure Berufsjournalist*innen kein Verständnis dafür haben, zeigt nur eins: Sie waren nie wirklich Teil radikalen Widerstandes, sie haben keine Repression erfahren. Die taz befindet sich auf dem besten Wege zur Hauspresse der kommenden Bundeskanzler*in. Mal sehen, wer von euch Regierungssprecher*in wird.
Pauline Boddin, Leipzig
Euer herrliches Beispiel!
Staunend sahen die Leipziger*innen, wie ihr Scheiben, Autos und Bull*innen auf die Hörner genommen habt. Den Angriff des Systems auf indymedia habt ihr konsequent zurückgeschlagen! Die ganze Republik sah das Feuer und den Rauch. So setzt man Interessen und Reformen durch! Dank sei euch, ihr bewaffneter Arm aller Reformisten! Allen, die um ihren Arbeitsplatz, ihre Wohnung, ihre Stütze und ihren Kredit fürchten, habt ihr Mut gemacht und den Weg gewiesen: Die Rettung liegt im Klirren, im Bersten, im Blitzen, im Knallen, im Qualmen und im Blut! Spürt ihr das leichte Zittern, das in der Luft liegt? Es ist das Erbeben der herrschenden Klasse. Weil euer herrliches Beispiel die Unterdrückten zur Nachahmung anstachelt, werden sie euren Weg beschreiten! Und wenn dann alles vernebelt ist, wird sich den Massen plötzlich die Erleuchtung entfalten, dass sie den Laden übernehmen müssen. Dafür ist es gut, ihn vorher kaputt zu schlagen! Egal kann’s uns dabei sein, wenn die Nazis sich den Ex-Scheibenbesitzern als künftiger Schutz andienen, und schnuppe ist’s uns, wenn Töchter und Söhne der Eigentümer der Klirrware sich den braunen Verbrechern zuwenden – das sollen sie nur wagen, dann kriegen sie von euch auf die Fresse! So überzeugt ihr die Massen! Und kümmert euch nicht drum, welches Feindbild sich in den Köpfen der Bull*innen bestätigt – sie haben ja nur die Waffen! Heil dich, Schwarzer Block! Und ich – schreibe unter Pseudonym, weil ich eure Fäuste nicht mag. Susanne Sausewind, Berlin
Agents Provocateurs?
Die verschwörungstheoretischen Agent-Provocateur-Ausreden sind doch einfach nur abgegriffen und lächerlich. Es gibt null Distanzierungen der Leipziger Szene. Weder zu diesen noch zu all den Ausschreitungen, Brandlegungen gegen Neubauten, Zusammenschlagen von Frauen aus der Immobranche, Menschen bewusstlos schlagen, mit Explosivstoffen bewerfen. Rudolf Fissner auf taz.de
Mitschuldig?
Es gab viele friedliche TeilnehmerInnen und einige GewalttäterInnen. Das Werfen von Sprengkörpern und Pflastersteinen auf PolizistInnen ist kein „Kavaliersdelikt“, sondern kann schwerste Verletzung oder sogar den Tod zur Folge haben, weshalb ich als Juristin wegen versuchten Mordes und schweren Landfriedensbruchs anklagen würde. Nein, ist gibt keine Rechtfertigung von Gewalt gegen Personen oder Sachen. Zugleich ist die Frage zu stellen, ob sich die friedlichen DemoteilnehmerInnen gegebenenfalls durch Unterlassen mitschuldig gemacht haben, indem sie die Gewalttätigen nicht an ihrem Tun hinderten. Cristi auf taz.de
Bürgerpflicht?
@Cristi Wo im StGB steht denn, dass ich als normaler Bürger verpflichtet bin, Straftäter von ihren Straftaten abzuhalten? Muss ich mich dann auch auf einen Amokschützen werfen, wenn ich ihm begegne? Gefahrengebietler auf taz.de
Angriffe auf die Presse
Von Ihrer Autorin wurde Unverständnis darüber geäußert, dass Linksradikale zwar abstrakt Pressefreiheit verteidigen wollen, ganz konkret während der Demo aber die Presse bei ihrer Arbeit behindern und sogar angreifen. Wie auch in Ihrem beigefügten Bild zu sehen ist, machen Pressevertreter*innen Fotos von Demonstrationsteilnehmenden, ohne deren Gesichter unkenntlich zu machen. In Hamburg wird im Nachgang immer noch verhandelt, ob die reine Teilnahme an einer Demonstration, auf der Straftaten passieren, für eine Verurteilung reicht. Auch für Polizei, Verfassungsschutz und Nazis sind Bilder von Teilnehmenden interessant.
In Leipzig sind Straftaten auf der Indy-Demo passiert; warum und weshalb die Teilnehmenden trotzdem weiter mit der Demo gelaufen sind, sei hier an dieser Stelle mal außen vor gelassen.
Pressevertreter*innen bei ihrer Arbeit zu behindern dient dem (Selbst-)Schutz vor Repression und ist in diesem Sinne ein solidarischer Akt gegenüber der Demo. Das kann und sollte man allen Presseleuten erklären.
Aber genau solche Fotos wie das Ihre in der taz, in der Leute mit ihrem Gesicht zwischen Vermummten und Bengalos zu sehen sind, ist der Grund, warum viele Demoteilnehmende keinen Bock auf Pressefotos oder -videos haben.
Und das ist in einem solch konkreten Fall möglich und auch verständlich, obwohl für ein abstraktes Recht auf Pressefreiheit eingestanden wird.
Alex, Leipzig
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