wortwechsel: Xtinction Rebellion – zu wenig linke „Distinktion“?
Die Bewegung Xtinction Rebellion will das denkbar breiteste Bündnis gegen den „Ökozid“ – was kann daran verwerflich sein? Ist die taz zu unsolidarisch mit den neuen Ökorebellen?
„Was tun gegen die Erderwärmung?
Zehn Gebote gegen Klimasünden“,
taz vom 26./27. 10. 19
Angst? Selbstgefällig!
Wütend macht mich eine Argumentationsfigur, die zum wiederholten Male in der momentan in der taz betriebenen Demontage der Bewegung Extinction Rebellion zur Anwendung kommt: Angst sei kein probates Movens für politisches Handeln, Warnung vor Auslöschung eine selbstgefällige Inszenierung einer nicht gegebenen Apokalypse. Tatsache ist doch, dass die meisten Menschen zu wenig Angst vor den Folgen des menschengemachten Klimawandels haben – sonst hätten wir in demokratischen Ländern längst andere Entscheidungsträger. Insofern tut eine energische Sensibilisierung dafür absolut not. Es ist ja kein Geheimnis, dass bereits jetzt täglich Menschen an den (un)mittelbaren Folgen der ökologischen Zerstörung sterben.
Und wie ignorant ist es, daraus, dass jemand meditiert, zu schließen, derjenige sei esoterisch und sektiererisch? Mag sein, dass XR das transportierte Profil seiner Vision noch schärfen muss; wer sich aber die Mühe macht, im Handbuch „Wann wenn nicht wir“ nachzulesen, stößt auf Sätze wie: „Wir brauchen Gesetze, die den Ökozid verhindern“.
Ich erwarte von der taz, dass sie einer Bewegung, die das Potenzial hat, den notwendigen Protest gegen die Erdzerstörung auf eine stark verbreiterte und entschiedenere Basis zu stellen, den Rücken stärkt.
Hartwig Kuckuck, Uttenreuth
Unparteiisch?
Sehr geehrte Frau Daphne Weber, Extinction Rebellion (XR) „inszeniert“ sich nicht unparteiisch; XR ist allerdings dahingehend unparteiisch, insofern der Protest von Extinction Rebellion alle Menschen gleichermaßen, den Banker ebenso wie den randständigen Hartz-IV-Empfänger, aufruft, sich dem Kollaps unseres Ökosystems und in Verbindung damit der immer mehr um sich greifenden Erosion der Menschenrechte entgegenzustellen. XR ist jedoch immer dann entschieden parteiisch, sobald die tödlichen Konsequenzen des „toxischen globalen Systems“, wie XR das neoliberale kapitalistische System nennt, geleugnet werden. Einen „individuellen Ablasshandel“ betreiben nicht „Gruppen wie XR“, sondern unsere demokratisch gewählten Regierungen im Würgegriff zwischen industriellen Lobbyisten und der Angst vor dem Verlust von Wählern, die die reibungslose Erfüllung ihrer im Vergleich zum unterprivilegierten Teil der Menschheit übermäßigen Konsumgewohnheiten bedroht sehen. Ja, ich glaube tatsächlich, dass es an der Zeit ist, dass wir alle – und gerade als sogenannter privilegierter Teil der Menschheit – uns unserer „Sünden“ bewusst werden und auch Kategorien aus dem Bereich des Religiösen bemühen müssen, um uns dessen, was die Weltenuhr geschlagen hat, bewusst zu werden. Wir bedürfen eines neuen Verhältnisses sowohl zur Erde als auch zueinander als Menschen, das auf einer radikalen Gleichwürdigkeit und gegenseitiger Achtung beruht.
Wolfgang Habicht, Kusterdingen
Scheitern an uns selbst
XR vermeidet explizit das Prinzip “Shaming and Blaming“ (Nummer 9 der 10 XR Prinzipien und Werte, die die Autorin so schön als Gebote bezeichnet) und erkennt an, dass wir alle Teil und gewissermaßen auch Gefangene des toxischen Systems sind, dass es zu reformieren gilt. Die Forderungen von XR sind explizit an die tatenlose Politik gerichtet und nicht an individuelle Klimasünder, und die Bewegung hat das Ziel den Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel in den Mittelpunkt von Gesellschaft und Politik zu rücken. Beim Lesen von Kommentaren wie diesem (was leider in letzter Zeit sehr häufig der Fall war) kann ich nur den Kopf schütteln: Endlich passiert etwas. Es mobilisiert sich jetzt weltweit (!) eine entschlossene Umweltbewegung, die durch den Konsens der Gewaltfreiheit und eine klare wissenschaftlich fundierte Warnung das Potenzial hat, eine breite Masse zu mobilisieren und klimapolitisch etwas zu bewegen. Und viele linke Intellektuelle reagieren mit einer dogmatischen Kritik, anstatt das Gemeinsame zu suchen. Die verschiedenen Klimabewegungen sollten sich nicht bekämpfen, sondern zusammenarbeiten. Jasper de Wyl, Hamburg
Mutter-Erde-Metaphern
Die Autorin schreibt: „Alte Mutter-Erde-Metaphern treten an die Stelle eines kritischen Feminismus, der uns vor allem eines gelehrt hat: Was Natur ist, ist menschliche Konstruktion.“ Nein, ist es nicht. Die Natur ist älter als die Menschheit und in ihren Gesetzen vollkommen unabhängig. Deshalb können wir auch nicht den Klimawandel bekämpfen, indem wir den Treibhauseffekt „dekonstruieren“.
Thomas Friedrich auf taz.de
Konsensfindung
„Wie Extinction Rebellion funktioniert: Revolution vom Reißbrett“,
taz vom 26./27. 10. 19
Liebe Frau Schipkowski, Sie beschreiben die Bewegung von weit außen stehend. Ich, 69 Jahre, immer noch beitragszahlender Altgrüner, bin im Frühjahr in Heidelberg erstmals auf XR aufmerksam geworden und habe mich auf ein Plenum getraut. Was ich dort erlebe, hat so gar nichts mit Todesangst, Panik, Gurugehabe oder Esoterik zu tun. Stattdessen: lebhaftes,respektvolles Diskussionsklima, starkes Bedürfnis nach Konsensfindung, transparente Aktionsplanungen, viel Power ohne ideologische Scheuklappen. Ich bin dann auch mit nach Berlin gefahren und habe dort das Gleiche erlebt: gut organisierte, absolut gewaltfreie Aktionen, viel Gesang, Theater, Performance, Die-ins, jede Menge ziviler Ungehorsam ohne Angst, überzeugte, hauptsächlich junge Menschen und dazu eine fantastisch funktionierende Basisdemokratie zwischen den Bezugsgruppen und der Aktionsleitung im Sinne von Konsensfindung. Den Einfluss des XR-Mitbegründers Hallam überschätzen Sie gehörig, diese Bewegung hört nicht auf und braucht keinen Führer, sie bezieht ihre Stärke aus dem inneren Zusammenhalt und der festen Überzeugung, dass ein „Weiter so“ gestört werden muss (disruption).
Charly Völker, Heidelberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen