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wortwechselVon diu heizet si diu wîhe naht

Auch zu den heiligen Nächten bleibt es nicht einfach still, bleibt die politische Welt nicht stehen, gibt es viele Fragen zu verhandeln. Deshalb wieder: ein Ausschnitt aus der Debatte

Grausamer Gänsetod

„Zahl des Tages: Weihnachtsgans für 4,49 Euro“, taz vom 18. 12. 17

„Alle Jahre wieder kommt das Christkind …“ – ein Spruch, der Hoffnung, Freude und wohlempfundene Tradition zum Ausdruck bringt.

Gleich einer schicksalhaften Zwangsgemeinschaft stellt die wiederkehrende Weihnachtszeit gerade für Gänse einen „Höhepunkt“ irdischer Grausamkeit dar. Laut ProVeg müssen für den Konsum der „Weihnachtsgänse“ in Deutschland bis zu zehn Millionen Gänse zwischen Martinstag und Weihnachten gewaltsam sterben.

Ist schon die Ritualisierung solcher Gepflogenheit in Zeiten einer auf Besinnlichkeit und Freude ausgerichteten Festzeit ein ethischer Widerspruch in sich, verkommt diese „Tradition“ völlig zum abstrusen Gewohnheitsbedürfnis, wenn man um die grausame Mast und extrem kurze Lebenszeit vieler dieser Gänse in osteuropäischen Herkunftsländern weiß.

Eine Weihnachtszeit ohne Gewalt und Tod von Mitgeschöpfen stellt eine große Bereicherung des Festes hin zu wahrer Freude, Liebe und Besinnlichkeit dar – frei von jeglicher Preisfrage nach der „Ware“ Gans.

Hans Jürgen Hauf, Nürnberg

Deutschland-Aus

Das Jamaika-Aus

Während hierzulande in allen Gazetten ausführlich über das „Jamaika-Aus“ palavert wurde, hat kaum einer zur Kenntnis genommen – auch die taz nicht –, dass in Jamaika der Begriff „Deutschland-Aus“ zum Unwort des Jahres gewählt wurde, nachdem dort die Koalitionsverhandlungen zwischen der CDUJ, der SPJ und der FDPJ gescheitert sind. Der deutsche Botschafter in Kingston hat allerdings entschieden dagegen protestiert und darauf hingewiesen, dass es sich eindeutig um ein „Belgien-Aus“ handele.

Jochen Riegger, Berlin

Verdrehte Sichtweise

„Gestern ist heute und morgen. Vor 75 Jahren wurde die Deportation der Sinti und Roma nach Auschwitz angeordnet “, taz vom 15. 12. 17

Wer in Suchmaschinen das Wort „Zigeunerprozess“ eingibt, gelangt unter anderem auf die Seite der NS-Gedenkstätten NRW mit der Nachricht:

„1948/49 kam es zu einem Prozess gegen Verantwortliche der Deportation. Er endete mit milden Urteilen. Eine mehrheitsgesellschaftliche Solidaritätsbewegung, getragen von Gesangvereinen über die evangelische Kirchengemeinde bis zu Abgeordneten politischer Parteien, hatte Freispruch wegen Unschuld gefordert. Es ist der einzige deutsche Prozess gegen lokale Deportationsverantwortliche gewesen. Es war einer von insgesamt zwei deutschen Prozessen zur nationalsozialistischen Zigeunerverfolgung, die mit Verurteilungen endeten. Der Angeklagte im zweiten Verfahren – Jahrzehnte ­später – war als SS-Angehöriger in Auschwitz eingesetzt gewesen. Er hatte sich dann später unbehelligt in Berleburg niedergelassen. Dort kannte man seine Vergangenheit, nicht zuletzt durch Berleburger Auschwitz-Überlebende.“

Es war einer der wenigen Prozesse, und die immer wieder verwendete Bezeichnung verdreht schon im Titel „Zigeuner-Prozess“ die Sicht auf Opfer und Täter.

Waldemar Grytz, Stuttgart

Ein Grund zur Scham

„Auch im hohen Alter verantwortlich“, taz vom 19. 12. 17

Die Organe der Rechtspflege ermitteln mehr als sieben Jahrzehnte nach Kriegsende gegen Personen, die zwischen 95 und 100 Jahre alt sind.

Gibt es im Bereich der Justiz eigentlich kein Schämen über die Jahrzehnte der Untätigkeit? Keinesfalls will ich die ins Visier geratenen Personen schützen oder gar freisprechen, aber das ist nicht einmal als Farce zu bezeichnen. Vielleicht sollten die Bilder mutmaßlicher Helfer, hoch aufgelöst und nachbearbeitet, im Internet veröffentlicht werden – um bei der Aufklärung der Vorgänge die Öffentlichkeit einzubeziehen. Mal bei der Hamburger Polizei nachfragen.

Erwin Bosak, Schorndorf

Sächsische SEK-Tradition

„Ein Produkt der Fantasie aus Sachsen: Panzerwagen mit Stickerei in Frakturschrift“, taz vom 19. 12. 17

Zwar haben die Nazis mit Erlass vom 3. Januar 1941 die Verwendung der „gotischen Schrift“, also die üblicherweise „Fraktur“ genannte Form verboten. Und interessanterweise haben sie dies damit begründet, die Schrifttypen seien „Schwabacher Judenlettern“ (was sachlich falsch ist).

Insoweit könnte die Verwendung der Frakturschrift heutzutage unbedenklich sein, wäre nicht der überwiegende Gebrauch in rechten Kreisen. Insbesondere Neonazis bringen gern ihr abstruses und menschenverachtendes Weltbild mit einer Frakturschrift zum Ausdruck.

Und hier liegt der Hase im Pfeffer, schaut man auf die „Tradition“ beim sächsischen Sondereinsatzkommando (SEK). Sie bringen sich, pars pro toto, in die gedankliche Nähe zu jenen Glatzen, die gern mal den Untergang des Abendlandes evozieren. Dazu passt der Ankauf eines Kriegsgeräts, eines Panzers – um damit was zu tun? Demonstrationszüge begleiten?

Raimund Schorn-Lichtenthäler, Datteln

Auf der Rampe

„Auch im hohen Alter verantwortlich“, taz vom 19. 12. 17

Nachdem ein Koch und ein Sanitäter verurteilt wurden, geht man nun auch gegen Sekretärinnen und Reinigungskräfte vor.

Mörderinnen aus Ravensbrück wurden nach dem Kriege gehenkt, nun geht es um Mitwisserschaft.

Ich frage mich, wann das Personal der Reichsbahn zur Verantwortung gezogen wird, das damals die Menschen dorthin transportiert hat und dem nicht entgangen sein kann, dass da niemand wieder rauskommt, ja, beim Aussteigen an der Rampe auch Vorgänge bemerkt haben muss. Hubert Lamberti, Bermel

Ein trauriges Bild

„Das Loch in der Autobahn“, taz vom 9. 12. 17

Das Loch in der Autobahn, eine Manifestation des Abgehängtseins aus Sicht Vorpommerns? Voreingenommenheit lässt die Autorin des Artikels ein trauriges Bild von Vorpommern zeichnen und die Universitätsstadt Greifswald und die Welterbestadt Stralsund (mit dem schönsten Bahnhof Deutschlands) in einen Topf mit sterbenden Dörfern werfen, den Darß vergessen.

Die taz könnte übrigens selbst etwas dafür tun, dass sich das arme Vorpommern weniger abgehängt fühlt, und die Printausgabe, genau wie in Mecklenburg, auch in Vorpommern am Tag des Erscheinens und nicht einen Tag danach in den Briefkasten werfen. Sina Krampitz, Stralsund

Seltsame Fragen

„Überall wird ,Jude‘ als Schimpfwort benutzt“, taz vom 15. 12. 17

Es ist wirklich sehr undurchdacht, so eine Frage zu stellen, wie es sein könne, dass Frau Saba-Nur Cheema, die von sich sagt, sie habe einen muslimischen Background, beim Anne-Frank-Institut arbeite, wo sie das doch gar nicht „müsse“, weil es nicht „ihre Geschichte“ sei (als Nichtbiodeutsche).

Palästinasolidarität-AktivistInnen ­müssen sich hin und wieder auch so seltsame Fragen anhören, wie es zusammengehen könne, dass sich jemand für die Rechte der PalästinenserInnen einsetzt und gleichzeitig zum Beispiel ein Projekt wie die „Stolpersteine“ richtig finden könne.

Dies ist eine falsche, verquere, auf Feindbilder und Ausschließlichkeit aufgebaute Denkart, denn genauso wie der Völkermord an den Juden Menschheitsgeschichte ist, wie Frau Cheema hervorhebt, ist der Einsatz für Menschenrechte und Gerechtigkeit ebenfalls ein internationales Menschheitsanliegen, oder kurz und flapsig gesagt, man muss kein Baum sein, um sich für Umweltschutz zu engagieren. Manuela Kunkel, Stuttgart

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