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wonderbra-gerry von RALF SOTSCHECK

Manchmal erlebt man eine Überraschung, wenn man einen Zeitungsladen betritt und das Zeitschriftenregal durchstöbert. Das VIP-Magazin ist Irlands Antwort auf Frau im Spiegel und Neue Revue, es kümmert sich um die Blaublütigen dieser Erde und um die Filmstars und die Meisterköche. Diesen Monat ziert eine besonders interessante Themenmischung die Titelseite: Unten ist Inna Zobova im BH abgebildet, daneben die Überschrift: „Das neue Gesicht von Wonderbra.“ Seit wann achtet die Wundertütenzielgruppe auf das Gesicht? Darüber, als Aufmacher, ein Foto eines lächelnden Gerry Adams. Das Fotomodell und der ehemalige Kämpfer der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), heute Präsident ihres politischen Flügels, Sinn Féin – passt das zusammen? „Der charismatische Führer“, so schreibt das Omablatt, „enthüllt eine Seite von sich, die wenige Menschen kennen.“ Aber will man sie überhaupt kennen? “Adams wird im Stile eines internationalen Staatsmannes, Schriftstellers und Philosophen von Staatsoberhäuptern weltweit empfangen“, heißt es weiter. Da ist es an der Zeit, dass auch VIP diese „very important person“ ihrer Leserschaft nahe bringt.

„Manchmal bist du in einem Wort gefangen“, philosophiert Adams. „Manchmal ist es etwas Schönes, gute Musik oder eine schöne Erinnerung. Wenn ich an meine Mutter denke.“ Tränen können ja so therapeutisch sein, ermahnt uns der Staatsmann. Und es schade nichts, ab und zu einen Baum zu umarmen. Darüber hinaus seien alle Religionen gleichberechtigt, roter und weißer Wein seien es auch, und wir tun wahrscheinlich nicht genug gegen die Armut in der Welt. „Diejenigen von uns, die die vergangenen 30 Jahre überlebt haben und noch in vertikaler Position sind, müssen dankbar sein“, sagt Adams. „Ich gehe gerne spazieren, neulich war ich draußen und es hat geregnet.“ Es ist nützlich, vertikal zu sein, wenn man gerne spazieren geht.

Der achtseitige Artikel ist mit elf Fotos garniert, die sich kaum unterscheiden: Adams vor einem Brunnen im Dunville Park, vor der St.-Matthias-Kirche, vor einer Mauer, vor einem Pub – alles in Westbelfast, seinem Wahlkreis. Mal schaut er nach rechts, mal nach links, doch stets mit staatsmännischer Weite im Blick.

Warum hat sich Adams ohne Not in diese peinliche Situation gebracht? Offenbar hat er die Reste seines guten Geschmacks ausgemustert, noch bevor die IRA es mit ihren Waffen getan hat. Adams habe eine stärkere Wandlung vollzogen als Michael Jackson, findet der Irish-Echo-Journalist Jack Holland: „Jackson ist vom schwarzen Mann zur weißen Frau mutiert, wobei er einer Ästhetik folgte, die wohl nur Elizabeth Taylor versteht.“ Und Adams? Normalerweise werde ein Revolutionär erst zum Staatsmann, wenn er die Revolution gewonnen hat, wundert sich Holland. Doch Adams’ Transformation zum Medienstar erfolgte nach der Niederlage der IRA. Holland meint, Adams klinge in dem VIP-Geschichtchen weniger wie ein Staatsmann, als vielmehr wie eine Miss-World-Kandidatin. Wonderbra und Adams? Das passt doch zusammen.

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