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Archiv-Artikel

wm gucken mit … Deutschen in Oldenburg

Christian trägt eine Art Hahnenkamm in Schwarz-Rot-Gold. Punk trifft Nationalstolz? Die Antwort verbirgt sich am Haaransatz in Form von dezenten Clips: Die Punk-Affinität ist vorübergehend, das Accessoire an der Tanke erworben. Der Nationalstolz allerdings ist offenbar dauerhaft. „Die deutsche ist eine der schönsten Nationalflaggen“, sagt Christian, die Flagge des Kaiserreichs allerdings sei noch schöner gewesen. Das habe jetzt aber nichts mit Nationalismus zu tun. So, so. Der neue Party-Patriotismus treibt seltsame Blüten. Bleibt das jetzt so? Klar, meint Christian. Die WM habe gut getan fürs Deutsch-Gefühl. Zurückhaltender ist da der Familienvater mit dem Samtzylinder. Das schwarz-rot-goldene Riesending will er zum WM-Finale seinem kleinen Sohn schenken. Auf der Patriotismus-Woge ist er eher Mitschwimmer: „Das machen doch jetzt alle.“

Machen wir den Test vor der Großbildleinwand auf dem Oldenburger Schlossplatz. Wie deutsch sind deutsche Fans wirklich? Samba-Rhythmen vor Spielbeginn bringen einen Punkt auf dem Multikulti-Konto. Hüften wackeln, bis die Hose rutscht. Dann wird auf der Leinwand die Nationalhymne angestimmt. Tatsächlich, die deutschen Public Viewer singen mit, textsicher und mit geradeaus gerichtetem Blick. Aber nicht alle: „Olli, Olli“, brüllen einige im Takt, sobald Kahn auf der Leinwand auftaucht. In der ersten Halbzeit passiert nicht viel. Aber jedesmal, wenn Kahn einen Ball hält, wird gejubelt und getrötet, Fahnen werden geschwenkt. Da kann Béla Réthy beteuern wie er will, das sei eine Selbstverständlichkeit.

Gegen Halbzeit lässt der Enthusiasmus nach. Der Moderator auf dem Oldenburger Schlossplatz versucht vergeblich, die Stimmung anzuheizen: „Ich will Fahnen sehen!“ Die Pause will er nutzen, um seine Autorität zu retten. „Alles hinsetzen!“ Nichts passiert. „Dann hockt euch hin.“ Kadavergehorsam, deutsche Autoritätshörigkeit? Nix da. „Ich würde ja gerne jedem ein Bier spendieren, der sich hinsetzt.“ Die Mehrheit bleibt stehen. Bravo.

In der zweiten Halbzeit fallen Tore. Viele. Der Moderator hat jetzt den Weg zum Herzen der mündigen Masse entdeckt. Schweinsteiger hat das Tor geschossen? Egal. Er brüllt: „Oliver“, und die Menge grölt zurück: „Kahn“. Generös wird das Tor der Portugiesen bewinkt und betanzt. Noch ein Punkt für Multikulti. Dann setzt langsam aber schleichend der Realitätsverlust ein: „Finale, finale“ wird gesungen, „Portugal: Null“ und „Wir sind die Champions“. Dritter Platz? Ach, was. Deutschland ist glücklich. ANNEDORE BEELTE