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Archiv-Artikel

wir lassen lesen Ein Star, der nichts zu sagen hat

Schiedsrichter Pierluigi Collina ergeht sich in seinem Buch vorwiegend in Selbstbeweihräucherungen

Auf schickem weißem Einband schaut ein in feinsten Zwirn gekleideter besserer Herr des Fußballs seine Leser an. Was hat uns der Schiedsrichter Pierluigi Collina wohl zu sagen? Dass man sich das nach der Lektüre von „Meine Regeln des Spiels“ immer noch fragt, spricht nicht gerade für das Buch.

Eigentlich gibt es keinen Grund, ein Buch zu kaufen, in dem sich ein eitler Mann pausenlos selbst beweihräuchert. Autobiografische Texte sind selten Zeugnisse von großen Selbstzweifeln und Ansammlungen von Eingeständnissen eigener Fehler. Aber es sind doch genau die Fehler auf dem Spielfeld, die den Schiedsrichter zu dem machen, was er für viele Fans ist: eine Figur, auf die Hass projiziert wird. Es gibt zwar ein Kapitel, in dem Collina zugibt, dass auch er nicht frei von Fehlern ist: „Nobody is perfect …“. Doch es geht darin nicht um die klassische Fehlentscheidung, einen nicht gegebenen Elfmeter, einen unangebrachten Abseitspfiff. Es geht vielmehr – wie kann es bei einem so besonderen Menschen, wie Collina einer sein möchte, anders sein – um eine ganz besondere Situation, „in der ich mich heute anders verhalten würde“. Es geht um ein Transparent, das er aus einem Stadion entfernen ließ, ein Transparent, das eine verletzende Meinungsäußerung dem Präsidenten des italienischen Schiedsrichterverbandes gegenüber zeigte. Durch das Entfernen des Stofffetzens habe er der Beleidigung eine Bedeutung zukommen lassen, die sie eigentlich nicht gehabt habe. Was für ein Fehler!

Der Leser wird dem Autor auch dank der Einsicht in seine Fehlbarkeit gerne verzeihen. Aber hat der gute Mann nie eine spielentscheidende Fehlentscheidung auf dem Platz getroffen? Wie ist es ihm nach Ansicht der Fernsehbilder damit gegangen? Solche Fragen werden nicht beantwortet. Leider. Ein Mann mit der Erfahrung eines Pierluigi Collina, Referee des WM-Endspieles 2002 und einziger Schiedsrichter-Superstar des internationalen Fußballs, könnte doch durchaus von diesen Dingen reden, ohne dabei sein Ansehen in der Fußballwelt zu zerstören. Doch wenn es schon um Patzer geht, wählt Collina meist Beispiele, in denen Kollegen falsch gepfiffen haben. Statt dem Leser einen Einblick in das Seelenleben eines Schiedsrichters zu geben, schildert uns der schicke Italiener immer wieder, wie gründlich er sich auf die Spiele vorbereitet. Wäre ja auch noch schöner, wenn nicht. Zumal Collina feststellt, dass er de facto ein Profischiedsrichter ist, auch wenn er als selbstständiger Finanzberater registriert ist.

Von sich persönlich gibt der kahlköpfige Italiener nur sehr wenig preis. Von seinem Leben neben dem Platz erzählt er nicht viel mehr, als dass er eine Frau und zwei Töchter hat, mit denen er in Viareggio lebt. Nur manchmal – fast ein wenig versteckt – finden sich Sätze, die auf seine Einstellung im Leben außerhalb des Sports schließen lassen. So erzählt er von einer Lehrerin, für die er als Gymnasiast in Bologna einen Aufsatz geschrieben hatte, in dem er zur Bekämpfung der Kriminalität Rizinusöl und Rohrstock empfahl. Die Vorstellungen der Lehrerin seien „dem Linksradikalismus sehr nahe“ gekommen, „während meine Vorstellungen dem geradezu entgegengesetzt waren“. Collina ein Rechtsradikaler? Wie dem auch sei: Die Lehrerin hat den Aufsatz mit „mangelhaft“ benotet.

Ein Urteil, das manch Lehrer auch dem Buch „Meine Regeln des Spiels“ geben wird. Ein Grund für die schlechte Benotung ist die Vielzahl von Wiederholungen. Die einmalige Erwähnung der Vorlieben, was die Unterbringung in Hotels betrifft, was den Zeitaufwand seiner Tätigkeit angeht, sowie seine profunden Sprachkenntnisse betreffend, hätte sicherlich gereicht. Aber Collina nervt von Anfang bis Ende des Buches mit immer denselben Unwichtigkeiten. Ein dickes A für Ausdruck verdienen Sätze wie: „Die Zusammensetzung meiner Familie ist etwas ungewöhnlich, in dem Sinne, dass das weibliche Element in ihr eindeutig überwiegt.“ Auch wenn vielleicht der Übersetzer für solche Ausdrucksmonster verantwortlich sein mag, kann es abschließend nur ein Urteil geben: Rote Karte für Pierluigi Collina. ANDREAS RÜTTENAUER

Pierluigi Collina: „Meine Regeln des Spiels“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003, 223 S. 17,90 Euro