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Archiv-Artikel

wilhelm tacke empfiehlt: Hell-dunkle Hingucker

Der Krieg ist nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs mit Recht geächtet. Um so verwunderter erfährt der Zeitgenosse, dass aus dem Krieg auch Gutes entstehen kann. So gerät z.B. Eugéne Carrière 1870 im Deutsch-Französischen Krieg in Gefangenschaft und wird nach Dresden expediert. Dort werden seine künstlerischen Fähigkeiten bekannt, was ihm ermöglicht, wiederholt die Dresdner Kunstsammlungen zu besuchen, als Kriegsgefangener (!). Dort hat es ihm besonders die „Sixtinische Madonna“ von Raffael angetan. Sie beeindruckt ihn so stark, dass die „Maternitè“ zu seinem Thema wird. Davon kann sich der Besucher der Ausstellung „Intimität der Gefühle – Eugéne Carrière zum 100. Todestag“ in der Bremer Kunsthalle überzeugen. Dort gibt es die in Helldunkel getauchte Madonna nämlich nicht nur im Doppelpack, sondern noch ein paar Mal mehr. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Familie noch nicht als auslaufendes Modell desavouiert ist und (noch) keine Feministin den Künstler mental daran hindert, sich mit seiner Frau und seinen Kindern künstlerisch exzessiv zu beschäftigen. Auch dass er sie in Helldunkel taucht, hat keinen sozialkritischen Touch. Nein, Carrière verzichtet in seiner dreißigjährigen Karriere als Maler auf grelle Farben und beschränkt sich auf das Helldunkel als wichtigstes bildnerisches Mittel und malt seine Bilder mit vielen Abstufungen zwischen Weiß, Braun, Grau und Schwarz. Sie lassen Mutter und Kind, aber auch Professoren, Dichter und Politiker geheimnisvoll wie hinter einem Gazeschleier erscheinen und werden trotzdem zu richtigen Hinguckern. Hingucker sind auch die Holzschnitte und Lithographien im Helldunkel von bedeutenden Künstlern von Rembrandt bis Käthe Kollwitz.

Bis 1.10., Kunsthalle Bremen

Fotohinweis: WILHELM TACKE ist Pressesprecher der Katholischen Kirche Bremen