wie man den depp entdeppt von WIGLAF DROSTE
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Kamerad Mitmensch ist ein Depp; alles Unglück schenkt er sich selbst ein. Immerzu kümmert er sich um Sachen, die ihn nicht das Geringste angehen. Im Irak wurde ein Sack Reis rasiert? Ein deutscher Fernsehentertainer geht vom Netz? Gerhard Schröder steht vor dem Spiegel, also vor dem Nichts? Und droht mal wieder an, er trete gleich zurück? Und keiner sagt: Dann tritt doch …? Wen soll das jucken außer den Dümmling? In jeder Brägenwurst ist mehr Gehirn als in Gerhard Schröder und seinem Land.

Lassen wir die Flachmännerei lieber weg und entdeppen uns. Es geht erstaunlich einfach: Schnabel halten und Gedichte lesen. Gedichte? Genau: „Die Gedichte: / Das heißt in diesem Falle / alle!“ heißt das Buch, das Schönheit und Geist noch in den letzten Stinkemann zwänge, wenn er es denn läse. Edel ist es, hilfreich und prall, 600 Seiten dick und kostet nur neunzehn Euro neunzig. Elegant in rotes Leinen gebunden kommt das Gebet- und Gesangbuch für versfrohe Agnostiker daher; sollte ich jemals in die Verlegenheit kommen, einen Schwur ablegen zu müssen – auf diese Bibel legte ich meine Hand: „F. W. Bernstein – Die Gedichte“.

Denn Bernsteins Gedichte schimmern und leuchten – nicht nur das eine, das jeder kennt: „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche.“ Das ist F. W. Bernstein: ein schöner Elchundselberwelch, ein Molchundselbersolch, ein Spieler, dem sich die Sprache hingibt, der sie aber, und das macht ihn ganz einzig, nicht immerzu nur gefällig und fügsam haben will, sondern brüchig, sperrig und voller Überraschungen. Tiere kennt er inwendig, als Zeichner wie als Dichter: die Wachtel Weltmacht, den Ordinärbär, den er „Putzimutzipetzigeil!“ rufen lässt, und, posthum, den Dodo, auch ihn hundertprozentig frei von Rührseligkeit mit Tieren. „Dodo tot?“, fragt Bernstein und antwortet: „Der Dodo hat uns verlassen? / Hat wohl nicht alle Tassen / im Schrank! // War wohl schon ziemlich vertrottelt. / Dodo ist ausgerottelt? / Vielen Dank.“

Bernstein kann alles, alle Tonfälle und Formen, alle Vögel alle, und ausgelassen herumdameln und albern sein und einen schönen „Waldunsinn“ zusammendölmern sowieso: „Pü Reh rennt wiehernd durch den Tann, / weil es sich selber melken kann. / Das Veilchen platzt; die Nelken welken, / sie können sich nicht selber melken. / Pü Reh tut weiter wiehern, / statt sie zu erziehern.“

Keine erahnbare Pointe rührt der Dichter F. W. Bernstein an, denn das Naheliegende ist ihm fern. Die allseits händeringend beschworene wie gratis geächtete „Gewalt“ wird von Bernstein angstlos und kühlen Kopfes betrachtet: „Im Besondren hilft Gewalt / in so manchem Sachverhalt / Mit Gewalt fällt manches leicht / was man ohne schwer erreicht // Nur mit Schlägen kriegst Du ein’ / Nagel in die Wand hinein / Nur mit Sanftmut kannst Du ihn / schwerlich wieder rauseziehn // Hört das Fänsän nimmer auf / nimm den Hammer und hau drauf.“

Wo Bernstein hindichtet, da wächst kein Kitsch mehr, kein Schwurbel, keine Angeberei, kein Bier- und kein Eppelmann. Wer es beklagt, dass diese Welt viel Dummheit mit sich schleppt / Der lese Bernstein – und wird kompetent entdeppt.