wie machen sie das?: Die Hospiz-Pflegerin
Martina Lindemann, 55, ist Krankenschwester. Früher war sie auf der Intensivstation beschäftigt, heute begleitet sie in einem Hospiz Menschen auf der letzten Etappe ihres Lebens.
taz am wochenende: Frau Lindemann, Sie sind bei Ihrer Arbeit jeden Tag mit dem Tod konfrontiert. Dabei zu bleiben und sich nicht runterziehen zu lassen – wie machen Sie das?
Martina Lindemann: Ich sehe meine Arbeit nicht primär als Sterbebegleitung, sondern als Lebensbegleitung. Die Menschen verbringen manchmal nur wenige Tage bei uns, bevor sie sterben, aber diese Zeit können sie oft richtig genießen. Sie leben noch mal auf und wir sind dabei und kriegen das mit. Natürlich immer mit dem Ausblick auf den bevorstehenden Tod, aber im Vordergrund steht das Leben.
Spiegelt sich das auch in der Inneneinrichtung des Hospizes wider?
Klar gibt es Krankenzimmer und alles, was es zur Pflege braucht, aber es ist trotzdem wohnlich bei uns. Wir haben ein Wohnzimmer, eine Küche und eine Terrasse für alle. Das sind Räume für Begegnungen, da findet Leben statt – Menschen, die sich vorher nie begegnet sind und dann zusammen musizieren zum Beispiel.
Gewöhnt man sich an den Umgang mit Menschen, die bald sterben?
Nein. Kein Mensch ist wie der andere und deshalb ist es jedes Mal eine neue Herausforderung. So unterschiedlich wie die Menschen im Leben sind, so unterschiedlich sterben sie.
Und gewöhnt man sich daran, dass die Menschen sterben?
Ohne einen gewissen professionellen Abstand kann man das nicht aushalten. Aber nein, ich gewöhne mich nicht daran. Ich habe immer noch – Gott sei Dank! – jedes Mal, wenn jemand stirbt, ein bisschen das Gefühl, dass die Welt für einen kurzen Augenblick aufhört, sich zu drehen. Würde ich diese Arbeit ohne Empathie machen, wäre ich falsch hier. Auch uns kommen mal die Tränen.
Macht Ihnen Ihre Arbeit denn Spaß?
Ja, vor allem wegen der Begegnungen zwischen Kol_leg*innen, Ehrenamtlichen, Gästen und Angehörigen. Und man lernt jeden Tag ganz viele Dinge, die man auch auf andere Lebensbereiche anwenden kann.
Was zum Beispiel?
Nicht schnell zu be- und verurteilen. Aber auch zu entschleunigen, langsamer zu werden. Schritt für Schritt zu gehen. Die Menschen hier können nicht mehr lange vorausplanen, das geht nicht. So lernt man, in jedem Moment neu zu gucken, was geht und was nicht
Hat sich Ihre Perspektive auf den Tod durch die Arbeit verändert?
Wenn ich jetzt daran denke, ich könnte morgen krank werden und in sechs Monaten sterben, habe ich natürlich Panik, weil, wer will das schon? Aber ich kann viel ruhiger dahin gucken.
Interview: Hellen Vogel
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