wie ich einmal courtney love und kurt cobain verkuppelte:
von MARTIN BÜSSER
Es war im Herbst 1991. Ich saß der Sängerin einer damals noch unbekannten Band namens Hole bei einem Griechen in Heidelberg gegenüber, um sie für das Punk-Fanzine Zap zu interviewen. Sie aß Cevapcici, ich einen Salat, und wir unterhielten uns angeregt. Die Frau hatte einen hervorragenden Musikgeschmack und auch die richtigen Bücher gelesen. Zum Abschied erzählte ich ihr noch, dass ich in der kommenden Woche Nirvana in Frankfurt interviewen würde. Aufgeregt bat sie mich, deren Sänger auszurichten, dass „die Blonde von Hole“ sich in ihn verschossen habe. In Frankfurt schließlich grinste Kurt Cobain auf meine Mitteilung hin und sagte, dass er sie wohl doch mal näher kennen lernen müsse. Seither habe ich sowohl Hole wie Nirvana nur noch auf MTV und in der Bild-Zeitung gesehen. Der Rest ist Geschichte, eine traurige dazu.
Ein knappes Jahrzehnt später saß ich mit ein paar Kollegen beim Getränk an einem Gasthaustisch in der Fränkischen Schweiz. Weil die Sonne knallte und die leckeren, dunklen Halben ihre Wirkung taten, bat ich die anderen, mich zu entschuldigen, und setzte mich zum Verschnaufen am Dorfrand ins Gras. Aus heiterem Himmel durchbrach ein Skater die Stille und kam an einer abschüssigen Straße, keine fünf Meter von mir entfernt, zum Stehen. Er sah aus, als sei er einem Film von Larry Clark entsprungen, etwa sechzehn, nur mit Bermudas bekleidet, halblanges, strähniges Haar. Statt nun aber einfach die Straße runterzufahren, sprang er affig auf seinem Skateboard herum, das sich dabei um die eigene Achse drehte und immer wieder auf dem Asphalt aufschlug. „Klapp – Klapp – Klapp“, durchdrang es die himmlische Mittagsruhe. Was sollte das? Wollte er sein Revier verteidigen, mir klarmachen, dass ich zu verschwinden habe? Dann war plötzlich wieder Stille. Mit leicht apathischem Blick visierte er mich durch Haarsträhnen hindurch an und fragte: „Wer bist denn du?“ Weil ein Städter weder auf eine solche Situation noch auf eine solche Frage vorbereitet ist, begannen meine Gedanken unter der Hitze wirr zu kreisen. Wollte er meinen Namen, Lebenslauf oder meine Herkunft wissen? Und wozu? Also sagte ich, was mir einzig nützlich erschien: „Ich bin der, der Courtney Love und Kurt Cobain verkuppelt hat.“
Abermals Stille. Die Augen hinter den Haaren wurden klein wie Schrotkörner, seine Mundwinkel senkten sich, als ob er dem Leibhaftigen gegenüberstünde. „Du Depp“, sagte er, rollte den Hügel hinab und war so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Ich hingegen blieb noch ein paar Minuten sitzen. Er kam nicht mehr zurück. Zu hören war nur noch das Summen der Insekten. Und plötzlich überkam mich ein Moment des Glücks. Inmitten einer Welt voller Klatsch war ich in einer Oase gelandet, an einem Ort, wo diejenigen, die klatschen, als Idioten gelten. Bevor ich zu den Kollegen zurückkehrte, die über Drogenexzesse, Rockgitarristen und Fußballspieler tratschten, genoss ich noch einmal den Nachhall einer Begegnung, von der ich eigentlich nur deshalb erzähle, weil ich glaube, dass sie Kurt Cobain gefallen hätte.
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