piwik no script img

was wir noch zu sagen hätten #4Was denken deine Eltern eigentlich?

„Das war doch bestimmt krass für deine Eltern, oder?“ Ich bin mit ein paar alten Schulfreundinnen in einem Café verabredet. Etwas zu spät stoße ich dazu und habe noch nicht mal meine beschlagene Brille freirubbeln können. Die Frage ist an mich gerichtet. Doch was meint die Freundin denn? Auf meine Nachfrage sagt sie: „Na, du hast doch jetzt eine Freundin, oder?“ Ich bin komplett überrumpelt. Dem Rest des Gesprächs höre ich nicht mehr richtig zu. In mir brodelt es. Ich bin sauer – so richtig sauer.

Sauer, dass diese „Freundin“ nicht erst mal fragt, wie es mir geht; und nach Jahren der Funkstille denkt, sie hätte Anrecht auf eine solch intime Frage. Sauer, dass sie ihr eigenes Weltbild auf meine Eltern projiziert. Am meisten frustriert mich, dass ihre Frage nicht aus einer ehrlichen, vielleicht unbeholfenen Neugier stammt, sondern aus purer Sensationslust.

Ich bin aber mit diesem Frust nicht allein. Das fällt mir bei meinen Recherchen zum diesjährigen taz lab auf: Queere Menschen aus Osteuropa und aus der post-ost-migrantischen Community berichten, dass die Frage nach der Akzeptanz der Eltern Standard sei. Dabei geht es nicht um Sorge oder Mitgefühl der Fragenden. Es geht um die Bestätigung ihrer Vorurteile. Vorurteile, dass der sogenannte „Osten“ nicht offen für Diversität sei. Dieses eingefahrene Denken ist in den meiste Fällen nicht nur falsch, sondern auch ignorant. Es ist ignorant gegenüber den Lebensrealitäten queerer Menschen und ignoriert die Verantwortung, das eigene Denken zu hinterfragen.

Malin Gehring, Jahrgang 2001, macht gerade ihren Bachelor in Politik- und Verwaltungswissenschaften. Sie ist Redakteurin des diesjährigen tazlab.

Deswegen fragt lieber, wie es uns geht. Fragt, ob wir glücklich sind, ob wir sicher sind – und ja, auch, ob wir schlechte Erfahrungen machen. Über all das zu reden, ist wichtig. Aber unterstellt unseren Eltern nicht eine Haltung, die ihr selbst nicht reflektiert. Malin Gehring

Hier schreiben unsere Au­to­r*in­nen wöchentlich über den Osten. Oder was?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen