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vorlaufGrotesker Betrug

Ein edler Spender – die wahre Geschichte einer Medienkarriere (So., 23.00 Uhr, N3)

Sie hatten ihn alle: „Explosiv“, „Blitz“, „Vera am Mittag“: Dr. Carsten Malin, der Mann mit dem falschen Titel und dem kapriziösen C im Vornamen, erzählte eine Geschichte, die wir hören wollen: Wie einer das unfassbare Elend der Dritten Welt nicht mehr ertragen kann, in einem kathartischen Reflex sein Leben radikal ändert, all seinen Besitz verkauft, den Erlös spendet und von Stund an hungert, um zu helfen.

Auch Stern, Woche und „Sabine Christiansen“ können gar nicht genug davon kriegen – schließlich haben die Kollegen ja alles schon mal durchrecherchiert. „Dieser Arzt lebt von einer Mark am Tag“, schreibt Bild begeistert und berichtet, dass der gute Mensch von Schweinfurt Monat für Monat eine stattliche Summe in den Sudan überweist, wo er bereits drei Pflegeheime für Not leidende Kinder eingerichtet hat.

Carsten Malin nennt sie „Lager“ und zeigt den NDR-Reportern eigenhändig gezeichnete Baupläne inklusive „Totenkammer“ und „Sterberaum“. Spätestens jetzt weiß man, dass der von Tilo Knops und Kirsten Waschkau Porträtierte ein geisteskranker Scharlatan mit einer gespaltenen Persönlichkeit inklusive messianischer Anwandlungen ist. Kritische Fragen erstickt der Spendenbetrüger, indem er immer grausamere Geschichten mit immer unglaublicheren Details erzählt: von den 27 Kindern einer sudanesischen Familie, die binnen eines einzigen Tages unter seinen Augen sterben; von dem Mädchen, das ihm eine Flasche voller Blut verkaufen will . . .

Er selbst habe nun schon alles gegeben: er trägt 40 Jahre alte Kleidung und ernährt sich von Nudeln, Vitamintabletten und Leitungswasser. Er hat nichts mehr – nun müssen andere spenden. Zu diesem Zweck hat er einen Verein gegründet . . .

Dass die Staatsanwaltschaft gegen Carsten Malin, der eigentlich den lyrischen Namen Otwin Malinowski trägt, ermittelt, ist nur ein schwacher Trost. Bis jetzt ist nichts bewiesen.

Dass das Team des NDR dem Mann mit dem billigen Toupet immer mehr auf die Pelle rückt, die Fragen immer bohrender, die Antworten immer wirrer, die Kamera immer aufdringlicher wird, ist verdienstvoll. „Sie sind nicht zufällig von der Polizei?“, fragt Malin in der Schlusssequenz. Leider nein. Auch nicht vom Presserat. ANJA MAIER

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