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vorlaufDer Akin-Clan

„Wir haben vergessen zurückzukehren“ (ARD, 23.30 Uhr)

Unterwegs in Fatih Akins Revier: „Da oben, wo die Satellitenschüssel hängt, wohnt mein Bruder“, sagt der Regisseur und zeigt auf einen Balkon. „Türken haben Satellitenschüsseln, und mein Bruder ist Türke.“ Die Sache mit der Identität ist bei den Brüdern Akin also denkbar unkompliziert: Sie sind Türken, und ihr Zuhause ist Hamburg-Altona. Nicht die Stadt Hamburg, sondern der Stadtteil Altona. Das ist wichtig.

Wenig später kurven die beiden mit dem Auto durch die verwinkelten Straßen ihrer Nachbarschaft und reden dabei wie die jugendlichen Helden aus „Kurz und schmerzlos“, jenem türkisch-hanseatischen Heimatfilm, mit dem Fatih Akin vor drei Jahren im Kino seinen Durchbruch als Regisseur feierte: „Ey Alter, stell dir mal vor, unsere Eltern wären damals nach Steilshoop gezogen!“ Das wäre nicht so schön gewesen, denn Steilshoop ist eine ziemlich trostlose Ecke von Hamburg.

Wohin es einen verschlägt und wer man ist, kann man also nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen. Andererseits ist das Leben nicht nur eine Aneinanderreihung von Zufällen. So nutzt Fatih Akin seine angenehm beiläufig erzählte Dokumentation „Wir haben vergessen zurückzukehren“, um von Migranten zu berichten, die aus einer ähnlichen Ausgangssituation ganz unterschiedliche Ziele erreicht haben. Dazu muss der Filmemacher nicht mal den familiären Kosmos verlassen, denn die Akins sind ein großer Clan. Nicht nur die Eltern des Regisseurs, die in den Sechzigern nach Hamburg gezogen sind und noch heute dort leben, kommen ausführlich zu Wort, sondern auch ein Onkel, der nach über 20 Jahren in Deutschland wieder nach Istanbul gegangen ist. Ein anderer Onkel, der nur für kurze Zeit das heimatliche Fischerdorf verlassen hat, gibt ebenfalls Auskunft. Über den Weg von Altona zum Bosporus entwickelt sich eine komplexe Familienchronik, deren Akteure von ganz unterschiedlichen Sehnsüchten und Bedürfnissen getrieben werden. Dabei wird schließlich auch deutlich, dass es für Akins Eltern gute Gründe gab, zu bleiben: Sie fühlen sich in Hamburg-Altona genauso heimisch wie in der Türkei. Da kann man schon mal vergessen zurückzukehren.

CHRISTIAN BUSS

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