von disco zu disco: Die Doku „Maestro“ huldigt den ersten DJs
Ikarus im Stroboskoplicht
Die Popkomm rückt näher. Die Plattenfirmen ächzen und klappern mit den Zähnen, die Konsumenten auch: Die Leute haben teilweise nicht mal mehr genug Euros, um sich CD-Rohlinge zu kaufen, um damit die Musikindustrie weiter zu schädigen. Das System scheint sich in Selbstauflösung zu befinden. Abseits von diesem Elend, wird bei der PopKomm aber auch ein Film namens „Maestro“ seine deutsche Uraufführung erleben. Im September wird er eine kurze Tour durch sieben deutsche Städte antreten und danach, so mein Tipp, vielleicht noch mal auf 3sat oder Arte zu sehen sein, mit etwas Glück.
Die Dokumentation handelt von den Pionieren der Disco-Musik im New Yorker Underground der späten 60er und frühen 70er, der Welt der allerersten Discotheken. Ich hatte das Glück, vorab eine Kopie des Films zu sehen. Und wirklich: Es gibt da eine versunkene, mythologische Zeit, die so nie wiederkommen wird, an die aber überall auf der Welt von Typen wie mir verzweifelt erinnert wird. Warum eigentlich?
Eine der ersten und stilprägendsten Discos schlechthin, David Mancusos „Loft“ auf der Lower Eastside, war zum Beispiel überhaupt keine Disco. Der Hippie und HiFi-Fanatiker öffnete seine Privatwohung am Wochenende zum kollektiven Klanggenuss in einer autonomen Zone. Und außerdem zahlte es die Miete. Es ging ihm vor allem darum, die optimal aufgenommenen Funk-, Soul-, Rock- und Jazzplatten dieser Zeit optimal wiederzugeben.
Die Kultur der perfekten Soundgestaltung steckte noch in den Kinderschuhen, und wurde in diesem Loft unter rein musikästhetischen Gesichtspunkten praktisch erfunden. Mancuso arbeitete eng mit dem legendären Boxenbauer Robert Long zusammen. Die Anlage für das Loft wurde zum Prototyp zukünftiger New Yorker Clubsysteme. Alex Rosner, auch er eine Lautsprecherlegende, erinnert sich, wie Mancuso die Idee hatte, die Hörner von den Bassrutschen zu trennen und unter die Decke zu hängen: Er nahm acht statt vier Hörner, was, deutet man das Zittern um Rosners Mundwinkel richtig, ein Akt revolutionären Irrsinns gewesen sein muss – der funktionierte!
Die Stärke von „Maestro“ liegt nicht unbedingt im Bildmaterial zu Clubs wie der „Paradise Garage“ oder dem „Loft“ sowie deren Schlüsselfiguren, den DJs Larry Levan und David Mancuso, um die der Film kreist. Die letztlich wenigen Fotos, Super-8- und Videoaufnahmen sind von ziemlich diffuser Qualität. Aber so ist das Wesen des wahren Underground: professionelle Kamerateams finden den Weg erst, wenn das Wichtigste gelaufen ist.
Dafür zeichnet der Film durch die bewegenden Zeugnisse der Überlebenden, wie man wohl sagen muss, ein Bild der Ereignisse, das mir so zwar faktisch bekannt, in seiner Dramatik aber nicht wirklich bewusst war. Die New Yorker Disco-DJs der ersten Stunde waren jung, schwul, langhaarig, und ihre Name endeten stets mit einem o. Sie legten fünfmal pro Woche nicht unter acht Stunden auf, jagten in der übrigen Zeit fieberhaft nach Platten und schliefen praktisch nie – auch dies eine (chemische) Wissenschaft, die sie zur Vollendung trieben, für die sie aber auch einen hohen Preis zahlten.
Im Film begegnet man dem späten Steve D’Aquisto und Francis Grasso – Letzterer ein schlimmes Wrack, der um 69 in einem Club namens „The Sanctuary“ experimentelle Ideen und Zustände hatte wie: den Acapella-artigen Part von Led Zeppelins „Whole Lotta Love“ über das Percussionintro von Chicagos „I’m A Man“ zu mixen. In meiner Welt entspricht das ungefähr der Erfindung der Glühbirne. Beide starben vor kurzem; viele andere sind schon länger tot: Larry Levan, der Schutzheilige der DJs schlechthin, ging 1992. Aber das große Sterben begann schon in den frühen 80ern. In die sexuell libertärste und musikalisch enthusiastischste Subkultur des letzten Jahrhunderts, die vornehmlich schwule, schwarze und/oder hispanische Disco-Szene von New York in den frühen 70ern war Aids hineingefahren wie ein Orkan. In „Maestro“ gibt es einen Schwenk über die Tanzfläche der „Paradise Garage“, in der die Namen all derer eingeblendet werden, die schon lange – hoffentlich wirklich – im Paradies tanzen.
Regisseur Josell Ramos lässt die Revolutionseuphorie, die Discokultur in ihrer frühen Phase im Kontext der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der Schwulen- und der Hippiebewegung antrieb, hart und tragisch auf die erste große Welle der Seuche prallen. Religiöse Eiferer werteten das damals als Strafe Gottes. Ramos stellt zwar keinen kausalen Zusammenhang her, arbeitet aber das verheerende Sichüberschlagen der Ereignisse heraus: Gerade hatten wir diese unerhörten Freiheiten und Ausdrucksmöglichkeiten erreicht, und schon erhalten wir die furchtbare Quittung, aus dem Nichts.
Anfang der 90er konnte man im Zusammenhang mit dem Aufschwung der Techno- und Ecstasykultur gerade auch in Deutschland noch einmal ein erstaunliches Maß an Ausschweifung erleben. Doch ohne gesellschaftspolitisch brisanten Brennstoff wirkte diese Dekadenz schnell schal und sinnentleert. Die viel zu früh verbrannten Erfinder der ersten New Yorker DJ-Kultur aber wirken noch heute wie lauter tragisch-romantische Ikarusse, die nicht ahnen konnten, dass sie der Sonne viel zu nahe gekommen waren. HANS NIESWANDT
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