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träume in zeiten, diesen schweren

von KATHRIN PASSIG

Während meine Tagträume in Friedenszeiten davon handeln, dass ich bei Banküberfällen geiselgenommen werde, oder sich darum drehen, wie ich meine ehemalige Vermieterin um die Ecke bringen und ihre Leiche zerstückeln und beseitigen kann, ohne dass der Verdacht auf mich fällt, beansprucht in letzter Zeit das World Trade Center einen Großteil meiner internen Sendezeit. Zäh und unbeirrbar überwinde ich zehn Stockwerke außen an der Fassade, verfolgt von unzähligen Kameras, um mein insektengleiches Leben schließlich triumphal zu retten, indem ich eine Fensterscheibe einschlage und für den Rest der Strecke die Treppe nehme. Während das Gebäude oben bereits einstürzt, verlasse ich es unten ohne unziemliche Hast.

Oder aber die Bodenstation vernimmt meine zitternde, aber gefasste Stimme aus dem Cockpit eines bis dahin entführt geglaubten Flugzeuges (die Entführer sind bereits überwältigt worden). Nun ist außer mir niemand an Bord, der das Flugzeug landen könnte, denn es befördert nicht wie üblich lauter Männer, deren Hobby Flugsimulatorfliegen ist, sondern ausschließlich Kinder und Nonnen, sodass ich durch die Bodenstation heruntergebetet werden muss wie die Stewardess in „Airport“. In Wirklichkeit bin ich selbstverständlich zu ungeduldig, um mich auch nur durch die Reparatur eines Toasters lotsen lassen. „Wie? Roter Draht, grüner Draht, ich sag doch, hier ist überhaupt kein Draht . . .!“ Neukölln erbebt in seinen Grundfesten, als ich kurzerhand beide auf einmal durchschneide.

In der dritten Variante muss ich zwar sterben, aber nicht, bevor es mir gelungen ist, eine SMS mit wohlgesetzten letzten Worten an die Hinterbliebenen abzufassen: „liebe eltern: bungee-springen ist super! ich spare für ein seil . . .“ Walter Mitty, der tagträumende Pantoffelheld aus Thurbers „The Secret Life of Walter Mitty“ ist ein Waisenknabe gegen mich.

„Mitty, der Superterrorist?“ Die Nasenflügel der zufällig vorüberkommenden jungen Frau kräuseln sich verächtlich. „Besorgen Sie mir ein Schweizer Taschenmesser und drei in jedem Supermarkt erhältliche Zutaten, und ich will Ihnen binnen 24 Stunden Mitteleuropa in Schutt und Asche legen.“ Friss Staub, Mitty.

Und dann jener köstliche Tagtraum, in dem sich der abzuliefernde Text mühelos in meinem Unterbewusstsein formt, während ich schlafe, sodass er nach dem Erwachen wie Coleridges „Kubla Khan“ nur noch niedergeschrieben zu werden braucht. So sensationell ist das Ergebnis, dass man dankbar mein Zeilenhonorar verdreifacht, aber zu spät, denn schon legt das Erschießungskommando eines sittenlosen Drittweltlandes . . .

Das Telefon klingelt. „Wir warten!“, sagt der Redakteur anklagend. „In zehn Minuten ist Redaktionsschluss!“ Die unterbezahlte Schreibkraft fährt zusammen. „Sorry, Boss, klar, Boss, der Text ist so gut wie unterwegs, Boss!“ Unter Drohungen legt der Redakteur auf. Geheimagentin P. lehnt sich zurück und sieht ihrem Untergang furchtlos ins Auge. Aus ihr wird man so schnell kein Wort herausbekommen.

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