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Archiv-Artikel

volker strübing über Wohnen Benjamin. Wie er kam und als er ging

Neue Mitbewohner modernisieren alte Strukturen. Manchmal sind sie nicht aufzuhalten

Benjamin kam aus Stuttgart und war genauso alt wie ich. Ich hatte an der Humboldt-Universität einen Zettel ausgehängt, auf dem ich nach einem Mitbewohner für meine Zweizimmerwohnung suchte. Er hatte mich beobachtet.

„Mensch, du suchst ’n Mitbewohner, das ist ja gei-jel!“, dröhnte er. „Was für ’ne Wohnung ist denn das?“

„Altbau, Prenzlauer Berg, 70 Quadratmeter, Kachelofen …“

„Kachelofen? Gei-jel … die machen immer so ’ne angenehme Wärme, habe ich gehört.“

„Stimmt schon, aber leider muss man dazu erst mal Kohlen aus dem Keller holen.“

„Haha, Mensch, du hast echt Humor. Weißt du, bei uns in Stuttgart ist alles so geleckt. Aber hier ist alles noch so ursprünglich. Und die Leute sind einfach suuu-per-nett. Ich bin übrigens der Benjamin.“ Eine Woche später zog er ein.

An unserem ersten gemeinsamen Morgen riss er mich aus dem Schlaf: „Du, tut mir Leid, wenn ich dich wecke, aber wo ist denn die Kaffeemaschine?“

„Ich habe überhaupt keine.“

„Oh. Na, dann trink ich aufm Weg zur Uni irgendwo ’n Kaffee.“

Am Abend stellte er ein großes Paket auf den Küchentisch. „Quasi mein WG-Einstand!“, strahlte er. Es war eine sündhaft teure Kaffeemaschine, mit der man Espresso, Milchkaffee, Cappucino, mit der man einfach alles machen konnte, nur keinen richtigen Kaffee.

„Du, sag mal, hast du was dagegen, wenn ich den Fußbodenbelag aus meinem Zimmer rausschmeiße? Der ist mir irgendwo zu spießig.“

„Äh, nö, mach nur.“

Am nächsten Morgen weckte mich ohrenbetäubender Lärm. Ich taumelte aus dem Bett und in den Flur. Das Geräusch hörte auf und zwei Männer mit Schutzbrillen kamen aus Benjamins Zimmer. Einer von ihnen trug ein T-Shirt mit dem Emblem der FDJ. Sie setzten die Brillen ab. Der mit dem FDJ-T-Shirt entpuppte sich als Benjamin.

„Du, das ist der Torsten, der hilft mir beim Abschleifen der Dielen. Wie wär’s, wenn wir erst mal zusammen frühstücken? Ich hab etwas ganz Besonderes besorgt!“ Er winkte uns in die Küche und hielt uns stolz ein Döschen Nudossi vor die Nasen. „Das ist die Ostvariante von Nutella!“, erklärte er. „Schmeckt einfach rich-tig gei-jel!“

Keine Ahnung, wie er darauf kam. Es war sicherlich nicht alles schlecht im Osten, aber Nudossi war es definitiv. „Aber du, kann ich dem Thorsten mal dein Zimmer zeigen?“

Sie warteten meine Antwort nicht ab. Ich blieb deprimiert am Küchentisch sitzen und hörte Satzfetzen: „Ist ja wohl ooo-ber-gei-jel …“ Ich wusste, sie bestaunten meine Mustertapete, das orange-grün bezogene Ostsofa und den lila-grauen Teppich, alles Hinterlassenschaften meines Vormieters, von denen ich mich bloß aus Faulheit noch nicht getrennt hatte. Ich stahl mich aus der Wohnung.

Erst abends traute ich mich wieder zurück. Im Flur hatte jemand einen Garderobenständer und ein Schuhregal aufgestellt. Benjamin kämpfte mit dem Staubsauger.

„Hat keinen Zweck“, sagte ich, „ist letzten Monat kaputt gegangen.“„Ach du Schei-ße! Wie kriege ich denn jetzt den Dreck aus meinem Zimmer? Der Elektromarkt hat schon zu.“

„Besen“, sagte ich. Benjamin starrte mich verständnislos an.

„Fegen“, fügte ich hinzu. Jetzt erhellte sich seine Miene.

„Ach Mensch, das ist ja ’ne rich-tig geile Idee, du. Ihr Ossis habt’s einfach drauf zu improvisieren!“

Ich ging ins Bad. Der Klodeckel war mit rotem Plüsch bespannt worden, eine Vorlage aus demselben Material schmiegte sich um den Toilettenfuß. Im Becken lag ein WC-Frischestein. „Scheiß drauf“, sagte ich mir und versuchte es. Natürlich misslang das Experiment. Am nächsten Tag klingelten zwei kräftig gebaute Männer und brachten einen riesigen Karton.

„Guten Morgen. Wir bringen Ihre Spülmaschine. Wenn Sie bitte hier unterschreiben würden.“

„Wie? Ich verstehe nicht …“

„Ah! Die Spülmaschine!“, rief Benjamin, kam zur Tür und unterschrieb den Lieferschein. „Du, die habe ich gleich am ersten Tag bestellt, als ich den Abwaschberg gesehen habe!“

Ich lief weg und betrank mich in meiner ehemaligen Stammkneipe. Als ich wieder nach Hause kam, empfing mich Benjamin mit offenen Armen und einer Flasche Champagner.

„Da bist du ja endlich! Du, es gibt Grund zu feiern!“

„So? Was denn?“, fragte ich misstrauisch.

„Ich hab meinen Vater überredet, das Haus zu kaufen! Demnächst fängt die Restaurierung an. Gasheizung, größere Fenster, überall Parkettfußboden, vernünftige Duschen! Dann ziehe ich ins Dachgeschoss, und du hast deine Wohnung wieder für dich! Ist das nicht gei-jel? Ach so, die Miete steigt dann natürlich. Aber keine Sorge, uns fällt schon was ein. Hinterhof-Parterre gibt’s ’ne kleine Einzimmerwohnung, die wird sicher nicht so teuer werden … He! Du freust dich ja gar nicht!“

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