völker in der volksrepublik : Last Exit Erfurt
Die Nummer 43721 macht ihre Sache gut. Der Taxifahrer rast durch Wuhan, als habe er einen Notfall an Bord. In der Neun-Millionen-Metropole am Jangtse müssen wir den Fahrern nicht erst sagen, dass wir es eilig haben, sie fahren ohnehin wie die Henker. Wir kommen also rechtzeitig zur Bundesligakonferenz auf WDR 2: „Liga live“ mit Sabine Töpperwien, Manfred Breuckmann und Jan Didjurgeit. Knapp war’s trotzdem, denn wir sind im Stadion aufgehalten worden. Die deutschen Frauen haben eine Dreiviertelstunde vom Hotel Holiday Inn entfernt ihr Viertelfinale gespielt und 3:0 gegen Nordkorea gewonnen. Am Mittwoch spielen sie um den Finaleinzug.
Es war ein vermurkstes Spiel, das die DFB-Auswahl wegen ihrer überlegenen Physis und den besseren Einzelspielerinnen (Kerstin Garefrekes, Renate Lingor und Torhüterin Nadine „Toni S.“ Angerer) dann doch deutlich gewann. Die Elf zieht mit vier Zu-Null-Spielen und 16 geschossenen Toren ins Semifinale ein. Damit nicht genug, ist auch die Zukunft von Bundestrainerin Silvia Neid gesichert. Ihr Vertrag wurde bis 2011 verlängert, per Handschlag von DFB-Präsident Theo Zwanziger, der ein Freund des Frauenfußballs ist. Selbst beim Aus im WM-Viertelfinale hätte das Angebot gegolten.
Zwanziger fand das Spiel der Deutschen in Zentralchina überragend, „also das hat mich wirklich beeindruckt“. Vielleicht hat er die erste Halbzeit verpasst, denn die war geprägt von technischen Fehlern, Kollisionen im Mittelfeld und allerhand anderen Mängeln. Selbst Silvia Neid musste einräumen, dass „es nicht immer flüssig war und manchmal etwas hektisch“. Über den nächsten Gegner machen sich die Spielerinnen noch keine Gedanken. „Das ist mir Latte“, sagt Ariane Hingst in burschikoser Direktheit.
Uns wiederum interessiert das fußballerische Geschehen – ausnahmsweise einmal das in Deutschland. WDR 2 („Hier schlägt das Herz des Fußballs“) schickt gerade den Song „Burning Heart“ durch die Leitung, da verkündet der Moderator: „Werder Bremen macht das 1:0, Hugo Almeida“, um nur ein paar Sekunden später wieder einzuhaken: „Rappzapp, Werder Bremen ist wieder da, 2:0.“ Erst jetzt darf das Herz wieder ungestört brennen. Parallel läuft bei uns der Fernseher auf dem chinesischen Sportkanal CCTV5. Gezeigt wird die Partie USA gegen England, ein weiteres WM-Viertelfinale. Kristine Lilly schießt gerade das 2:0. Ist das die Vorentscheidung? In Berlin bei der Hertha ist noch nichts klar, obwohl „die ersten fünf Minuten eindeutig Hertha BSC gehören“.
Dann muckert das Internet. Die Übertragung bricht ab. Ruckelnd meldet sich eine Stimme. „Den Angriff … können wir … noch mitnehmen.“ Sabine Töpperwien, die aus unerfindlichen Gründen doppelt so häufig wie ihre Kollegen zugeschaltet wird, vermeldet: „Die Schalker Fans stehen Kopf.“ Solche Kunststücke würden wir gern mal in China erleben. Bisheriger Höhepunkt an Fanfolklore war die nordkoreanische Jubeltruppe vom Samstag, die sich schon vorm Spiel völlig verausgabt hatte. Henry Vogt, der WDR-Mann in Bremen, läuft ähnlich heiß: „Bums, jetzt klingelt es wieder, 3:1 für Werder.“ Es ist kurz vor zehn chinesischer Zeit, da überrascht der Moderator mit der Überleitung: „Mümmelt Schalke noch mit Radiergummi und dünnem Bleistift?“ Die omnipräsente Sabine Töpperwien verneint, und schon sind wir bei den Nachrichten, in denen der Viertelfinaleinzug der Deutschen eine Meldung ist. Allerdings begeht der Sprecher einen kleinen Fehler. Das dritte Tor hat bei ihm Annika Krahn geschossen. Sie heißt Annike. Wir wollen aber nicht kleinlich sein, bis zum Finale werden alle Namen noch einmal gepaukt.
„Wird der Höhenflug der Bayernjäger heute gestoppt“, fragt – na wer wohl – Frau Töpperwien. Er wird. Bielefeld hat keine Chance. Nicht so unser Heimatverein Rot-Weiß Erfurt. Wie uns WDR 2 verrät, schlägt er im Steigerwaldstadion den Tabellenführer Wuppertaler SV mit 5:1. „Wuppertal geht regelrecht unter.“ Der Abend ist gerettet. Wir nehmen das deutsche Radio jetzt mit nach Tianjin, zum nächsten Spielort der DFB-Auswahl. Morgen, am Dienstag, schalten wir es wieder an. „Liga live“ hören, echten Fußball.
MARKUS VÖLKER
* Im Osten lärmen, im Westen angreifen (altchinesisches Kriegsstrategem)