village voice : Beiläufiger Geräuschpop: Der Allround-Mann Guido Möbius hat mit „Klisten“ sein erstes Soloalbum produziert
Bedroom Productions
Guido Möbius ist fast immer zu Hause, er trennt nicht zwischen Leben, Arbeit und Musik. Seine Wohnung ist sein zentraler Lebensraum: Von dort aus treibt er die Arbeit an seinem klitzekleinen Label Emphase voran und verschickt Platten, in seiner Tätigkeit als freier Musikpromoter. Und dort lässt sich auch, zwischen Frühstück und erstem Businesstalk, auch im Schlafanzug noch schnell ein Loop fertig editieren.
Guido Möbius ist die paradigmatische Ich-AG und ein klassischer Bedroom-Producer. Er lebt durch, für und mit Musik, mal so und mal so. Seine erste Soloplatte „Klisten“ ist ganz nebenbei entstanden, über Monate hinweg, ganz ohne Druck und ohne Masterplan. Ums Geldverdienen geht es ihm damit zuletzt.
Man muss sich den Bedroomproducer als glücklichen Musiker vorstellen. Aufstehen, rumtelefonieren, Orangensaft trinken, Gitarrenspur aufnehmen, mit der Tochter spielen, Basteln am Computer, tagein, tagaus in dieser Reihenfolge – oder einer völlig anderen. Jenseits aller ökonomischen Zwänge spielt er sich frei. Nur er kann eine so endlos lockere und doch so unglaublich verdichtete Platte wie „Klisten“ hinbekommen. Er spielt selber ein paar Spuren ein – wofür hat er denn die Gitarre und den Bass dort in der Ecke stehen? – und für den Rest lädt er sich Freunde ein. Diese spielen etwas auf dem Glockenspiel, der Flöte, der Violine, der Maultrommel oder der Banjolele und bekommen dazu und dafür ein Bier.
Wie der Bedroomproducer mit diesen Einspielungen verfährt, können sie höchstens erahnen. Vielleicht verfremdet er diesen oder jenen Part bis zur Unkenntlichkeit, vielleicht weiß er mit ihm jedoch plötzlich gar nichts mehr anzufangen und klickt ihn Wochen später über die Maustaste in den Abfall.
Wenn ein bestimmter Produktionsprozess alles dermaßen in der Schwebe hält und Zufälligkeiten zum Arbeitsprinzip erhöht, kann das Ergebnis am Ende auch unausgegoren klingen. Wer alle Möglichkeiten hat, verzettelt sich leicht. Doch bei „Klisten“ macht jedes Schaben, Vibrieren, Gezupfe, Geklöppel, jeder Loop und jede Klangstruktur hundertprozentig Sinn. Die Platte purzelt von einem Einfall zum nächsten, an allen Ecken und Enden passiert etwas, die Stücke bersten schier vor lauter Freude am Ausprobieren, werden jedoch immer von einem Songmuster, einer Art Popklammer zusammengehalten. Denn eines hört man ganz deutlich: Hier wollte einer rumexperimentieren und Klänge zerfleddern, bis der Arzt kommt. Hier wollte einer aber auch immer Humor beweisen und, bei allem Anspruch, stets leicht verdaulich bleiben.
Der Plattentitel lässt erahnen, dass Möbius auf bizarre Morphologie und schlichte Mehrdeutigkeit steht. Ob „Klisten“ etwas mit klistieren zu tun habe, hat ihn Freund und Gastmusiker FS Blumm gefragt. Hat es nicht. „Klisten“ setzt sich vielmehr zusammen aus dem englischen listen und cluster (eine Anhäufung von Tönen), fordert also ein schlichtes Zuhören ein und referiert gleichzeitig auf ein Strukturprinzip der Minimal Music, das etwa bei Erik Satie zu finden ist. „Am Ende ist ‚Klisten‘ aber vor allem ein schönes Wort“, findet Guido Möbius.
Kompliziert und doch so einfach, diese Musik, wie immer man sie auch nennen mag, und sie macht unheimlich viel Spaß. Das Einzige, was fehlt und sicher gut zum Möbius-Sound passen würde, ist der Klang einer singenden Säge. Wer das Spiel auf der singenden Säge beherrscht, sollte sich unbedingt bei ihm melden. Mal sehen, was sich damit anstellen ließe. Das Bier jedenfalls steht bei Guido Möbius schon kalt. ANDREAS HARTMANN
Guido Möbius: „Klisten“ (Klangkrieg/Hausmusik)