village voice: Die Potenzierung unreiner Musik: Techno von Dub Taylor und Paul Kalkbrenner
Krank, aber mit Seele
Berlin ist inzwischen Bundespophauptstadt. Da ist die Aufregung natürlich groß, und auch wir freuen uns alle gleich fleißig mit. Doch was ist eigentlich mit dem guten, alten Hauptstadt-Techno los? Alles beim Alten geblieben? Irgendwer bei den einschlägigen Labels wie Tresor oder Chain Reaction wird’s schon richten? Glücklicherweise nicht. Es tut sich wieder einiges. Jan Jelinek hat mit seiner letzten Platte „Loop-Finding Jazz Records“ bewiesen, wie man mit leichter Hand raffinierteste Elektronik zwischen Kick und Jazz- sowie Soul-Aroma basteln kann.
Die aktuellen Platten von Alex Krüger, auch bekannt unter dem Namen Dub Taylor, und Paul Kalkbrenner führen die Heilsversprechung einer elektronischen Dazwischenmusik auf ihre Weise fort. Beide Produzenten sind jung, haben sich dennoch bereits mit einigen Maxis einen guten Ruf erspielt und veröffentlichen nun ihre jeweils ersten Artist-Alben.
Auf den Platten von Kalkbrenner und Dub Taylor wird sich an einer unreinen Musik versucht, besser gesagt an der Potenzierung von eh schon unreiner Musik. Dub Taylor etwa greift auf den typischen Chain-Reaction-Sound zurück, in dem klassischer Dub und Minimal-Techno ihre Amalgamisierung erfahren haben.
Auf dieser Basis züchtet er nun neblige Tech-House-Gewächse. Letztlich bekommen wir mit Dub Taylor den im Zeichen von Dub bisher am weitesten gehenden Versuch serviert, Minimal-Tech-House aus einer völlig anderen musikalischen Ausgangslage abzuschöpfen. Dabei reicht der sich als roter Faden durchziehende Dub-Faktor von „extrem hallig und verblubbert“ in einigen Tracks bis hin zu „gerade noch erahnbar“. Das ziemlich weit ausgelotete Spektrum der Einsatzmöglichkeit von Dub macht dann auch den wahren Reiz der Platte aus.
Überraschende kontrapunktierende Klimax der im Großen und Ganzen sehr fluffigen und loungigen Platte ist der letzte Track, „Operate/Core“, wo ein psychedelisches Softgewaber plötzlich in einen völlig plumpen Metal-Track übergeht. Samt Tapping-Gitarre und bollerigem Schlagzeug. Proll-Rock will gerne rein, unverfälscht und authentisch klingen. Eingesetzt als polarisierende Kontrastierung scheint Dub Taylor damit sagen zu wollen: „Ich nicht.“
Paul Kalkbrenner hat im Gegensatz zu Dub Taylor keinerlei Dub-Affinitäten. Das Forschende, die Lust daran, Grenzen zu überschreiten und Kosmen auszudehnen, etwas, was Dub exzessiv versucht, findet man jedoch auch bei ihm. Paul Kalkbrenner macht einen Techno, dessen Zauber sich nicht sofort erschließt. Worauf will der Mann bloß hinaus? Erst mit der Zeit erkennt man die Seele hinter den Tracks, dass hier tatsächlich Melancholie der Antriebsriemen ist, der technoide Schönheit zum Entfalten bringt.
Dabei schreckt Paul Kalkbrenner, der sich auch Paul db+ nennt, nicht davor zurück, in den geschmäcklerischen Abgrund von Trance zu blicken. Er findet dort jedoch nicht die Höllenqualen ravegepeinigter Trance-Crusties im Entrücktheitszustand, sondern bedient sich subtil an dem Potenzial von Trance, upliftend zu wirken. Bei dieser Form von Trance streckt niemand seine Hände an die Decke und seinen Kopf zwischen die Beine.
Paul Kalkbrenner kündigt die Heilsversprechen der großen Party und der großen Momente nur an, löst sie jedoch nie wirklich ein. In diesem Spannungsverhältnis gefangen, klettert man von einem Track auf „Superimpose“ zum nächsten und befindet sich bald in einem absurden Zustand von Rauschhaftig- und Nachdenklichkeit zugleich. Dazu passt auch bestens das der Platte vorangestellte eingesprochene Gedicht von Erich Fried über das Kranksein. „Und wer sich noch immer nicht krank fühlt / an dieser Zeit / in der wir leben müssen, / der ist krank“, heißt es darin.
Da ist die Love Parade plötzlich ziemlich weit weg. Wie war das noch mal mit der Aussage, Techno sei der wahre Ausdruck der Spaßgesellschaft?
ANDREAS HARTMANN
Dub Taylor: „Forms & Figures“ (Raum . . . Musik/Intergroove); Paul Kalkbrenner „Superimpose“ (BPitch Control/Zomba)
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