piwik no script img

village voiceLuftig trotz Schwermut: „White Lies“ von Deine LakaienHoffnung im Haarnest

Die Boulevardpresse rekapituliert dank des satanischen Ehepaars Ruda und ihres Wittener Ritualmordes mal wieder dankbar alle verfügbaren Gruftie-Klischees. Die alltäglichen Erscheinungsformen dagegen sind bestimmt von einer romantisch verklärten Melancholie und weit entfernt von dem Zerrbild, das die Medien am liebsten übermitteln. Die erwachsene, abgeklärte Form des Schwarzkitteltums repräsentieren schon länger Deine Lakaien als souveräne Sachwalter und vor allem tapferste Erweiterer des Gothic-Erbes. Während andere Schwarzkuttenträger immer weiter dieselben düsteren Dark-Wave-Abziehbilder reproduzieren, hat das Duo aus dem Berliner Alexander Veljanov und dem Münchner Ernst Horn sein mittlerweile sechstes Studio-Album „White Lies“ in ein blendendes Weiß getaucht.

Nicht nur der Hase auf dem Cover ertrinkt im Licht, auch die musikalische Umsetzung ist transparent wie nie zuvor bei den Lakaien. Horn hat nahezu alle Tracks sehr zurückgenommen programmiert. Die einzelnen Rhythmusschläge stehen fast wie unbeteiligt nebeneinander, die schwebenden Keyboardflächen sind oft nur angedeutet und kleistern den Gesamtsound niemals zu. Hauchzart tröpfeln Samples, vorsichtig stottert die Beatbox, ein Cello tupft nahezu unmerklich, und die Drehleier versucht, gar nicht erst aufzufallen. Der Rückzug ins Akustische, den die Lakaien immer mal wieder gern auf der Bühne nur mit Stimme und Klavier umgesetzt haben, findet hier noch einmal statt, diesmal aber mit den von ihnen bekannten vorwiegend elektronischen Mitteln. Nie zuvor klangen Deine Lakaien trotz aller Schwermut so offen und luftig. Auch die gewohnten Uptempo-Nummern sind in der Minderzahl, industrielles Schaben gar nicht zu finden. Nein, geballert wird hier ganz und gar nicht.

Textlich aber gehen die beiden den schon länger eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Sie sind die Einzigen aus der sonst so autistischen Szene, die auch Alltagsthemen kommunizieren. Sonst wäre ihr letztes Album „Kasmodiah“ wohl nicht auf Platz vier der deutschen Charts eingestiegen. Allein mit in den Kajaltopf gefallenen Prinzessinnen der Dunkelheit ist das kaum zu schaffen. Die bei ihren Kollegen sonst üblichen Themen von Tarot bis Totschlag sucht man auch auf „White Lies“ vergebens. Stattdessen: Verlustängste, Eifersucht und Trauer. Ein Song, inspiriert von Houellebecq, handelt vom Klonen, ein anderer von der Wiedergeburt, und manche sind einfach herzlich normale Liebeslieder, in denen einsame Menschen sich den Frust von der Seele saufen und anschließend den Mond anmeckern. Vor allem aber glänzen sie wieder einmal mit in der Szene sonst unbekanntem Humor: „I know this song is rather stupid/I know I’m writing like a schoolkid“, textet Horn und singt Veljanov, „it has to be that kind of sunny/ I have to make a rhyme on money“. Und selten wohl wurde das selbst verordnete Dauerleiden der Gothics hübscher in Wort gesetzt als mit dem Songtitel „Life is a Sexually Transmitted Disease“.

18 Jahre nachdem sich Horn und Veljanov ihren Namen aus einem Song der Einstürzenden Neubauten suchten, bleibt als Fazit, dass Deine Lakaien lange schon keine Gruften-Kapelle mehr sind. Auch wenn sie es in den letzten Jahren geschafft haben, ihre Zielgruppe entschieden zu erweitern, werden sie diese Charakterisierung unverdientermaßen wohl trotzdem niemals loswerden. Jedenfalls nicht, solange Veljanov noch dieses Haarnest auf seinem Kopf so liebevoll pflegt und seine Stimmbänder mit ihrem unverschämt dunklen Timbre sich weiter so erfolgreich durch die Untiefen der Seele schmelzen. THOMAS WINKLER

Deine Lakaien: „White Lies“ (Chrome/Columbia)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen