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village voice Die deutschen Air: Naomis „Everyone Loves You“Nur die guten Seiten des Lebens

Eine der Grundbedingungen für den Blues war vor mehreren Jahrhunderten „Nobody loves you when you’re down and out“ von Jimmie Cox, das seither von Ella Fitzgerald über Eric Clapton bis John Lennon durch die Popgeschichte geistert. Die alte Mär von den Freunden, die zusammen mit Geld und Champagner auftauchen und einen ebenso schnell wieder verlassen, wie der letzte Cent über die Theke gegangen beziehungsweise die letzte chemische Stimulanz aus dem Blutkreislauf verschwunden ist.

Ins Berliner Clubleben der Gegenwart respektive ins Gegenteil gewendet kann daraus aber auch so etwas werden wie „Everyone loves you when you’re down“, so das Titelstück auf dem Debütalbum des Berliner Elektronikduos Naomi. Die darauf enthaltenen elf Tracks wird man gewiss lieben, wenn man wieder draußen ist und runterkommen will.

Sicherlich: Das Konzept „Zwei Typen machen relaxte, feingeschmackliche elektronische Musik mit Popappeal und ab und an singt eine Frau dazu wunderschön“ ist allzu bekannt. Aber weder sind Bernd Lechler und Nico Tobias Nicholas Godin und Jean Benoit Dunckel, noch ist Sängerin Selda Kaja Beth Hirsch oder gar Naomi die deutsche Ausgabe von Air anno 1998. Wozu auch.

Zwar darf man Naomi, die mit sphärischen Bläsersounds ebenfalls ganz gut umzugehen verstehen, den Hang zum großen Gefühl kosmischer Erhabenheit bestimmt nicht völlig absprechen, aber die Safari von „Everyone Loves You“ führt weniger von der Erde zum Mond als vielmehr vom Club zurück vor die eigene Haustür: „Place your face on the door-mat, this is life, still“, und schaff es dann mit etwas Glück noch ins Wohnzimmer. Hier steht eine hübsche Plattensammlung mit großzügigen Beständen an Elektropop, Jazz, Ambience und italienischen Soundtracks. Draußen ist es längst hell. Aus dem Fenster zu springen lohnt nicht. Schlafen gehen aber irgendwie auch nicht. Platte anmachen. Hm. Ein wärmender Basslauf stimmt versöhnlich und insgesamt gar nicht unzufrieden. Idyllische Soundscapes werden von schön kickenden Beats getragen, genau wie der Kopf angenehm leer ist und das Herz munter weiterpocht. Sofas sind eigentlich auch sehr bequem. Und die guten Seiten des Lebens, wenngleich das manchmal vielleicht nicht so auffällt, im Grunde genommen gar nicht so kompliziert: „Sleep. Faith. Sex. Food. Happy. Good.“

Am Ende scheint es sogar eine begründete Hoffnung zu geben: „Anybody here? … … … Yes.“ Wenn nicht direkt neben einem und hier und jetzt, so doch auf jeden Fall irgendwo da draußen. Ich bin unten mit der Welt, und jede/r könnte mich lieben. Mit Sicherheit.

Die wirklich sehr schöne Untermalung solcher oder ähnlicher kontemplativer Lebensreflexionen dichter Heimkehrer mag sicherlich die Hauptleistung von „Everyone Loves You“ sein. Doch das Album bietet mehr als nur bloßes Chill-out; ordentlichen Pop klassisch-elektronischer Provenienz nämlich. So finden sich Breakdance-mäßige Vocoder-Stimmen galore ebenso wie die schneidenden 80er-Funk-Gitarren auf „Girlfriend“ oder „Butter Worker“, dem einzigen wirklichen und ausgesprochen hittigen Uptempo-Stück der Platte. Hier und da tauchen kurz Human League auf, die Vanity-Hymne „We are so beautiful“ bedient sich mehr als beiläufig bei Zoot Womans „Information First“, und der Schlusstrack „Anyone here“ bringt die bombastischen Anne-Dudley-Streicherarrangements von ABCs „Lexicon of Love“ zurück ins Gedächtnis.

Kurz gesagt, Naomis „Everyone Loves You“ ist eine tolle Davor/Danach-Platte für helle Morgen und sonnige Nachmittage.

AXEL WERNER

Naomi: „Everyone Loves You“ (Mole)

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