verschwörerische Privataufführung: Salon mit Stasi
Berlin auf Blättern
von Jörg Sundermeier
Alle waren bei ihm, waren bei Ekke Maaß, dem Übersetzer und Vermittler. Er hatte mit seinem Salon in der Schönfließer Straße, den er bis heute betreibt und bewohnt, die Nachfolge von Wolf Biermanns legendärer Wohnung in der Chausseestraße angetreten, als dieser 1976 nicht mehr nach Ostberlin zurückkehren durfte von einer Tournee durch Westdeutschland. Biermann ist es denn auch höchstselbst, der ein markiges Vorwort zu dem Buch „sprachzeiten. Der Literarische Salon von Ekke Maaß“ beisteuert, in dem er den Salonbetreiber, wie es seine Art ist, gleichzeitig lobt und zurechtweist.
Doch der Literaturwissenschaftler Peter Böthig, der den Band zusammengestellt hat, benennt es in seiner Vorrede besser: „Die Geschichte der Literatur und Kunst in den 1980er Jahren in OstBerlin kann nicht angemessen dargestellt werden, ohne zu berücksichtigen, was in Ekke Maaß’ literarischem Salon geschah.“ Dieses Geschehen ist nun erstmals dokumentiert, nicht nur die Germanistik wird sich dafür bedanken.
Zum Salon wurde die Wohnung, schon kurz nachdem Maaß die Räume unweit des Arnimplatzes mit seiner damaligen Frau Wilfriede bezog. Sie betrieb eine ebenfalls von vielen Künstlern frequentierte Keramikwerkstatt in den Nachbarräumen, deren Wirken in dem Band „brennzeiten“ dokumentiert ist, der vor drei Jahren erschien, und mit diesem Band ein Duo bildet. Im März des Jahres 1978 lädt also ein dem Staatswesen Verdächtiger, der sich als Kleindarsteller verdingt, rund 60 Personen in sein Wohnzimmer, um dort Lieder des sowjetischen Dichters Bulat Okudshawa vorzutragen.
Und die Stasi ist von Anfang an dabei, der IM „Villon“, der trotz seines Pseudonyms keine Ahnung von Dichtkunst hat, singt seinen Führungsoffizieren ein Lied von der verschwörerischen Privataufführung vor. Es folgen dicht an dicht Abende mit Katja Lange-Müller, Helga Königsdorf, Adolf Endler, Armin Mueller-Stahl, Bert Papenfuß, Elke Erb, Leonhard Lorek – fast alle, die in Berlin, Hauptstadt der DDR, gegen ebenjene waren, lasen und diskutierten dort. Es gab Wein, Brot, es wurde geraucht und diskutiert.
Und nebenan mietete die Staatssicherheit eine konspirative Wohnung, um zu erfassen, was da im Wohnzimmer diskutiert wurde. Ausgestattet war und ist das große Zimmer bis heute mit Kunstwerken, von A. R. Penck, Ralf Kerbach oder Cornelia Schleime, inmitten des Zimmers steht ein großer Tisch, um den man herum saß, die Freunde zwängten sich aufs Sofa und nutzten jeden Fleck des Fußbodens aus, um sich noch setzen zu können. In Gestalt von vielen, der bekannteste ist wohl der Dichter Sascha Anderson, der lang in der Schönfließer Straße ein- und ausging, saß stets die Staatsmacht mit am Tisch.
Doch sie wussten nicht, was sie taten. Manche der Berichte der Staatssicherheit bersten vor unfreiwilliger Komik. Nach dem Fall der Mauer wurden die Abende zwar seltener, doch die Gäste sogar prominenter: Ernst Jandl war zu Besuch, Tschingis Aitmatow kam, auch die georgische Dichterin Naira Gelaschwili, André Glucksmann erläuterte seine Philosophie, und Vanessa Redgrave schaute herein. Der deutsch-georgische Philosoph und Romancier Giwi Margwelschwili lebte sogar eine Zeit lang mit Maaß in dessen Räumen.
Das Buch, das Böthig aus der Überfülle des Materials und aus den vielen Erinnerungen geformt hat, leidet manchmal unter unschönen Wiederholungen, mit denen die große Bedeutung der Besucherinnen und Besucher mehrfach hervorgehoben werden soll. Doch sieht man davon ab, hat man ein sehr schönes Lesebuch, in dem sich Fotodokumente und Stasi-Berichte mit Gedichten, die dort gelesen wurden, und sehr vielen Fotos abwechseln. Insofern ist dieses Buch am Ende mehr als eine Dokumentation – es bietet nacherlebbare Zeitgeschichte.
Peter Böthig (Hg.): „sprachzeiten. Der Literarische Salon von Ekke Maaß“. Lukas Verlag, Berlin 2017, 304 Seiten, 25 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen