utopien der arbeiterklasse:
Diese Forderung des britischen Sozialisten Robert Owen ging in die Geschichte ein: „Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung.“ Als er sie im frühen 19. Jahrhundert das erste Mal formulierte, arbeiteten Männer, Frauen und Kinder teils bis zu sechzehn Stunden am Tag in knochenbrecherischen Jobs. Gewerkschaften weltweit schrieben sich Owens Formel auf ihre Banner.
1856 erkämpften im australischen Melbourne die ersten Arbeiter den Achtstundentag, in Deutschland folgte 1884 die Gold- und Silber-Scheideanstalt Degussa. 1918 senkte die Reichsregierung, durch den Druck der Räterevolution, die Arbeitszeit generell auf acht Stunden ab – was danach wieder aufgeweicht und erst nach dem Zweiten Weltkrieg festgeschrieben wurde. Heute übt sich die CDU erneut im Klassenkampf von oben und will die tägliche Obergrenze für Arbeitszeit abschaffen. Arbeiter halten mit eigenen Forderungen dagegen: So liefern etwa Modellversuche mit der Viertagewoche vielversprechende Ergebnisse.
Der Priester José Mariá Arizmendiarrieta organisierte Mitte der 1950er Jahre die Talleres Ulgor (Ulgor-Werkstätten) im baskischen Mondragón zum ersten genossenschaftlichen Unternehmen der Welt. Inspiriert war er dabei von der katholischen Soziallehre. Heute hat die Mondragón Corporación über 70.000 Mitarbeitende, sie stellt Motorteile und Industriemaschinen her, betreibt Supermärkte und eine Universität.
Die Genossenschaft funktioniert so: Arbeiter halten Anteile an dem Unternehmen, wählen ihr Management und haben ein Mitspracherecht bei Entscheidungen. Steigert sich der Gewinn, profitieren die Angestellten davon. Auch die Lohnunterschiede sind fixiert. Der Verdienst des Managements darf im Schnitt höchstens fünfmal so hoch sein wie der hausinterne Mindestlohn – wobei die allermeisten Einkommen ohnehin über diesem liegen.Die Corporación ist zwar nach wie vor im kapitalistischen System eingebettet. Aber sie zeigt, dass sich Effizienz, Solidarität und Betriebsdemokratie kombinieren lassen.
Karl Marx unterscheidet in seiner Analyse des Kapitalismus zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit. Produktiv ist demnach Arbeit, die im Produktionsprozess Waren herstellt und Mehrwert für das Kapital erwirtschaftet. Als unproduktiv sieht Marx dagegen häusliche Arbeit wie Pflege und Kindererziehung.
Feministische Denkerinnen wie Silvia Federici kritisieren diese Trennung. Marx’ Unterscheidung nehme die meist von Frauen verrichtete unbezahlte Hausarbeit nicht ernst, obwohl der Kapitalismus nur durch diese „soziale Reproduktion“ bestehen kann, denn: ohne Sorgearbeit keine Lohnarbeit. In den 1970ern forderte Federici deshalb mit Mitstreiterinnen „Lohn für Hausarbeit“. Heute plädiert die US-amerikanische Philosophin Nancy Fraser für ein „Care Income“. Alle, die Sorgearbeit leisten, würden dadurch ein Einkommen vom Staat erhalten. Das soll Menschen nicht nur Zeit für Pflege und Erziehung verschaffen und sie gegen Armut absichern, sondern ihre Arbeit auch gesellschaftlich aufwerten.
Wer sich nicht mit Betriebsdemokratie zufriedengeben will, muss das System ändern. Eine Vision dafür lieferte 2019 der Autor Aaron Bastani mit seinem Manifest „Fully Automated Luxury Communism“. Mit „voll automatisiert“ meint Bastiani, dass durch Fortschritte in Robotik und KI die Herstellung von Gütern künftig großteils von Maschinen übernommen werden kann. „Luxus“ heißt, dass es keine Knappheit mehr gibt und alle Menschen einen hohen Lebensstandard genießen werden, was Bastanis Konzept von Post-Wachstums-Ideen unterscheidet. Und mit „Kommunismus“ meint er die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln.
Kritiker sagen, die ökologischen Probleme eines solchen Systems und auch der Transformationspfad vom Kapitalismus zu Luxus-Kommunismus blieben unklar. Dennoch: Bastani denkt über das egalitären Potenzial neuer Technologien nach – und liefert so eine Antwort auf die kapitalistische Alternativlosigkeit.
Kurztexte: Leon Holly
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