unterm strich:
Mal was anderes aus der Berliner Opernlandschaft: Mit einem Pfeifkonzert, Buhrufen und Gebrüll haben Zuhörer die „Fidelio“-Inszenierung von Starregisseur Christof Nel an der Deutschen Oper Berlin am Dienstagabend begleitet. Immer wieder wurde die Aufführung von Gelächter und anderen tumultartigen Unmutsäußerungen aus dem Saal gestört, viele Zuhörer wollten sich mit Nels Deutung von Beethovens Freiheitsoper als verspieltes und symbolüberladenes Kammerspiel auf kleiner Bühne nicht abfinden. Auch der Dirigent und weltbekannte Cellist Heinrich Schiff wurde vom Zorn aufgebrachter Zuhörer nicht verschont.
Nels Einstand an der seit Anfang dieser Spielzeit von Udo Zimmermann geleiteten Deutschen Oper war mit großer Spannung erwartet worden. Mit seiner Stuttgarter „Walküre“ hatte Nel bundesweit für Furore gesorgt und viel Lob bei Publikum und Presse geerntet. Für Berlin hatte der Regisseur einen unpolitischen „Fidelio“ angekündigt, jenseits aller „politisch korrekter Rührseligkeit“. Welche wäre?
Schon bei der Ouvertüre kam Unruhe im Saal auf, als von den Fenstern einer über die Bühne ziehenden Plattenbau-Fassade Puppen auf die Bühne fliegen, ein Engel durch das Bild geistert und ein Trompeter teilnahmslos am Rande in die Luft blickt. Erheitert reagieren die Zuhörer auch , wenn sich am Hofe Don Pizarros (Elke Wim Schulte) Männerbeine aus der weißen Kulissenwand strecken oder später, im Kerker, aus den gleichen Öffnungen Hände in schwarzen Handschuhen dem an einer meterlangen Hundeleine darbenden Florestan (Mark Baker) Wein reichen. Nur die sich als unartige Göre gebende Marzelline (Fionnuala McCarthy) vermag das Publikum zum langen Szenenapplaus hinzureißen.
Doch auch die Tochter des Kerkermeisters sorgt für unfreiwillige Komik, als sie mehrmals über ein Mikrofon ruft: „Es ist schönes Wetter“, um damit ihrem Vater den Hofgang für die Gefangenen abzutrotzen. Vor dem Berliner Opernhaus hatten realiter kurz zuvor noch Hagelstürme und Orkanwinde getobt. Den berühmten Gefangenenchor („O welche Lust“) lässt Nel dann hinter einer Glaswand wie in einem Verhörraum singen.
Am Ende, als sich die Gefangenen von ihren Zwangsjacken befreien, ziehen vor einer riesigen Blümchentapete schwangere Frauen mit Babys in den Armen auf. Die wiedergewonnene Freiheit entpuppt sich als Rückkehr in die bürgerliche Familie. Das ist also dann die politisch unkorrekte Rührseligkeit: dass wieder mal die Frauen und die Kinder schuld sind, dass Freiheit nicht möglich ist. Huhu.
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