piwik no script img

unter leuten8,7 Millionen Menschen leben in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Hier ist einer von ihnenJustus Ulbrichtumsorgt Dresdens Vergangenheit

In diesen klimatisch und politisch heißen Wochen weilt Justus Ulbricht ausnahmsweise einmal nicht in Dresden. Wie schon seit 15 Jahren gewohnt, gibt der Historiker im wohlvertrauten Weimar einen Sommerkurs Kulturgeschichte für Jugendliche. Einige Dresdner könnten ihn vorübergehend vermissen. Denn seit ungefähr fünf Jahren taucht sein Name immer häufiger öffentlich auf, wenn es um Kultur, Kulturpolitik und politische Themen geht. Dabei erreicht der umtriebige Mann mit Bart und dem kleinen Ohrstecker im Dezember schon die 65! Ein Spätentwickler?

Diesen Eindruck aus Dresdner Perspektive will Justus Ulbricht nicht uneingeschränkt bestätigen. Schon als Student der Geschichte, Germanistik und Pädagogik in Tübingen habe er sich engagiert. „Ich zählte aber nicht zu den organisierten Radikalinskis“, tritt er Vermutungen entgegen. Es folgten 14 Jahre Elternzeit, wie wir heute sagen würden, für die beiden Söhne, in denen er Forschungen nur noch von seinem Zuhause im niedersächsischen Rotenburg aus fortführte. „Denn ich lasse mich auch gern auf Frau, Familie und Genuss ein“, sagt er.

Ein Vortrag 1994 in Weimar zur Nationalisierung der Weimarer Klassik stellte die Weichen für seinen späteren Wechsel in den unbekannten Osten. Und eine zweite große Liebe zu einer Jenaer Lektorin. Es folgten weitere 14 Jahre bei der Klassik Stiftung Weimar, einer der größten Kulturstiftungen Deutschlands, die Schlösser, Museen, Parkanlagen, das Goethe- und Schiller-Archiv verwaltet. Zwischendrin, 2006, die Promotion an der Universität Jena. Keine feste Stelle, ebenso wie bei weiteren Stationen an der Universität Magdeburg und am Hygienemuseum Dresden. „Mein Reichtum ist der Wechsel durch verschiedene Orte und Betriebe“, sagt er über sein lebenslanges Wirken als Freelancer.

Dresden aber bedeutete nach und nach mehr Öffentlichkeit. Bei den zahlreichen Kommunalforen der Landeszentrale für politische Bildung zu Flüchtlingsfragen stand er seit 2015 sozusagen „an der Front“ vor Bürgern und Bürgermeistern. Als sein wichtigstes Wirkungsfeld sieht er seit 2016 die Geschäftsführung des Dresdner Geschichtsvereins, zu der vor allem die vierteljährliche Herausgabe der Dresdner Hefte gehört. Kein beschaulich- verklärendes Erinnerungsperiodikum, wie man im gestrig-verträumten Dresden vermuten könnte, sondern eine Reihe, die Entwicklungslinien betrachtet, die uns heute sehr viel angehen. Da wird beispielsweise eine Verbindungslinie vom „Roten Königreich“ der Industrialisierung und der Arbeiterbewegung zum Konservatismus des 20. Jahrhunderts gezogen. Ein Heft widmet sich dem heute als halbbraun verschienen Nachbarort Freital, ein Heft erinnert unter dem Titel „Wie die BRD nach Sachsen kam“ an die Wende. „Die Stadt braucht den Außenblick“, stuft er seine Rolle ein. Auch heute noch.

Kulturamt und Kulturdezernat der Stadt schätzen Ihn als Helfer und Partner. Justus Ulbricht schrieb das Konzept zur Abschlussveranstaltung des laufenden Bauhausjahres. Zum Dresdner Zerstörungsgedenken am 13. Februar hielt er auf dem Heidefriedhof, der zentralen Gedenkstätte im Norden der Stadt, eine grundsätzliche Rede. Der Friedhof solle ein Ort des Lernens und der Begegnung im Geist des Vergebens und Verzeihens werden, sagte er dort, nicht der Aufrechnung.

Er textete die Dresdner Fassung der bundesweiten „Erklärung der Vielen“ von Kulturschaffenden gegen den von Neurechts angesagten Kulturkampf, unterschrieb ein Jahr zuvor den Aufruf gegen die „Charta 2017“ der Buchhändlerin Susanne Dagen, die eine linke ­Gesinnungsdiktatur unterstellte. Irgendwo hängt immer der Justus mit drin, wenn es um Aktivitäten gegen Pegida und die Neue Rechte geht.

Warum? Was treibt ihn an? Als forscher Student habe er die alte Bundesrepublik noch abschaffen wollen. Mehr und mehr ertappe er sich aber jetzt als Verteidiger der freien demokratischen Grundordnung, als „linker Patriot“. „Wir haben nichts Besseres“, sagt Ulbricht, „und das ist mein Land.“ Michael Bartsch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen