ulrike winkelmann über Golf: Makellos rot gepunktet
Früher wollte ich endlich zu Recht ein Bikinioberteil tragen. Die wirklichen Probleme kannte ich noch nicht
Der Tag der ersten Beinrasur des Jahres will sorgfältig gewählt sein. Erst mit ihm beginnt die Sommersaison wirklich. Die Haut, noch bleich und unterm Winterpelz irgendwie verzärtelt, schläft sozusagen, und darum muss man sich ein bisschen Muße gönnen, sie zu wecken. Schließlich ist nichts so vergänglich wie ein glatt geschorener Unterschenkel, und es gilt, den zwei bis drei Tage anhaltenden Rasurnutzen optimal einzusetzen. Das heißt: Es dürfen keine oder jedenfalls nicht allzu viele Lange-Hosen-Termine dazwischenkommen, und ich muss mindestens einmal das Haus in Freizeitdingen verlassen wollen.
In diesem Frühjahr war ich spät dran. Als Anfang dieses Monats P. mir ihre rot gepunkteten, aber glatt polierten Schienbeine präsentierte – „ein neues Epiliergerät“, sagte sie stolz; die Schmerzen, von denen die Pusteln zeugten und von denen ich weiß, seitdem ich so ein Ding einmal einen Sekundenbruchteil ans Knie gehalten hatte, hatte sie offenbar vergessen –, war es noch eindeutig zu früh. Am Wochenende aber schaute ich bei einer Radtour auf M.s haarlose, strampelnde Haxen und dachte, es ist so weit. Meine Mitbewohnerin und ich hatten schon je eine große Dose Rasierschaum parat, echten Männerrasierschaum. Ich verteilte also eine Handvoll davon – wie hübsch er nachquillt! – über die Beine und setzte die Klinge an.
Es gab eine Zeit, da war nichts wichtiger, als mit Fug und Recht ein Bikinioberteil tragen zu können. Kaum hatte sich das Kapitel halbwegs erledigt, taten sich jedoch die wirklichen Abgründe auf. Denn was nun kam, war keine Frage der Zeit, die alles richtet, sondern eine Frage der Handlungsmöglichkeiten: Was tun mit Haaren an den Beinen?
Nicht, dass sie mir von selbst aufgefallen wären. Es brauchte einen Schülerinnenaustausch mit Amerika, um mich auf die Ausmaße des Problems hinzuweisen. Solange sie bei uns weilte, sagte meine Gastschülerin nichts. Kaum hatten wir gemeinsam den Atlantik überquert, wurde G. jedoch direkt: „Nicht mit diesen Beinen“, sagte sie knapp, als ich mich zu einem gemeinsamen Ausflug zu ihren Freunden gerüstet hatte. „Du kannst mit unrasierten Beinen nicht gehen. You can’t.“ Es war ein sehr scharfes „You can’t“. Ich war wie vom Donner gerührt. G. fürchtete, sich meiner schämen zu müssen. Das war schlimm, und das wollte ich ihr auch nicht antun. Also, ebenso wie sie: lange Jeans.
Und bei meiner Rückkehr nach Hause ein geschärfter Blick: Tatsächlich, die meisten Frauen hatten glatte Beine. Oder blonde. Dass man Haare blondieren kann, um sie unsichtbar zu machen, hatte ich schon gehört, wusste aber schon damals, dass es Leute gibt, an denen sähe jedes einzelne blonde Haar blöd aus, selbst an den Beinen. Meine beste Freundin F. schließlich brachte aus Italien die Sitte mit, sich mit Einmalrasierern aus der Drogerie die Beine abzuschaben. Ich machte es mir leichter und verwendete das Rasierzeug meines Vaters, der darauf mit ungeahnter Empörung reagierte und zur Abschreckung behauptete, vom Rasieren würde die Haut hart und wüchsen die Haare schneller nach. Eine Lüge!, verwies ich triumphierend auf die Weisheit von Frauenzeitschriften. Seine Beschwerde blieb: Wer nicht weiß, sagte er, dass seine Klinge stumpf ist, schneidet sich beim Rasieren. Als wenn man von stumpfen Rasierern eine zittrige Hand bekäme! Das war männliche Logik.
Ich dagegen schneide mich auch mit scharfen Klingen nach Herzenslust. Angesichts des Massakers, das ich an meinen Knien auch nach über zehnjähriger Rasiererfahrung anzurichten im Stande bin, wundert es mich, dass die meisten rasierten Männer mir morgens doch recht unverstümmelt entgegenkommen. Dabei hat so ein Kinn doch sicherlich so viele Untiefen wie ein Knie.
Und warum das Ganze? Nach der Highschool, dazu im toleranten Deutschland? Sozialer Druck? Aber stehen im Schwimmbad nicht immer mindestens zwei wollbeinige Frauen unter der Dusche – auch im Sommer? Ach. Manche Normen sind so stark, dass es sich nicht lohnt, dagegen zu kämpfen. Es macht auch keinen Spaß. Und es dankt einem keiner. Selbst der junge Mann, der so lange keinen Makel an mir finden mochte, bis er mich wegen des geringsten von ihnen verließ, strich im vergangenen Winter versonnen über mein Beinkleid und lächelte nachsichtig. Kein Vorwurf, nein, keine Kritik, eher eine späte Anerkennung der zwar merkwürdigen, aber weit verbreiteten Ansicht, dass Frauenbeine ab und zu mehr als bloß einer Wäsche bedürfen.
Als ich mit der Schur fertig war, zwei Einwegrasierer war mir dieses Sommerbegrüßungsritual wert gewesen, hatte es sich draußen wieder zugezogen. Es regnete zwei, drei Tage. Aber die Geschichte, warum Stoppeln immer noch schöner sind als Haare, muss jemand anders erzählen.
Fragen zu Golf?kolumne@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen