piwik no script img

Archiv-Artikel

ulrike herrmann über Non-Profit Probleme machen immer die anderen

Ja, es gibt Arme in Deutschland. Aber das ist doch kein Grund, sich aufzuregen. Man sieht sie ja nie

Darf er das? Das fragt nicht er, das fragen andere. Er meidet alle Orte, wo ihm diese Frage begegnen könnte. Zu Partys geht seine Frau allein. Eigentlich hatte er den klassischen Aufstieg hinter sich: Erst war er Maurer, dann Disponent in einem großen Handwerksbetrieb. Aber die Firma schrumpfte. Mit dem Arbeitslosengeld kommt er zurecht, manchmal arbeitet er schwarz, einen Job sucht er nicht. Das ist der Skandal, der alle heimlich fragen lässt, darf er das? Seine Frau strahlt auf Partys besonders; niemand soll denken, dass sie sich schämt.

*

„Dä, dädädädäääääähhhh.“ Ein Berliner Radiosender, der „immer für Sie da ist“, hat extra einen Jingle erfunden, um seine Jobbörse anzukündigen. „Heute im Angebot“ … die Stimme springt nach oben, erzeugt Spannung … „ein Minijob als Gärtner in einem Autohaus!“ Das wird so begeistert vorgebracht, als wäre nur ein Berliner arbeitslos und nicht über 270.000 Menschen. Es folgt das Versprechen: „Wir informieren Sie weiter!“ Und zum Abschied tönt wieder „dä, dädädädääääähhhh“.

*

Ein Freund überblättert in der Zeitung alles, was sich mit Schröders Reformagenda 2010 beschäftigt. Denn er weiß auch so, „dass die Gewerkschaften blockieren“. Außerdem sollten sich die Arbeitslosen über die Kürzungen nicht so aufregen: „Die haben doch alle Handys!“ Er selbst ist reich, das gibt er gern zu, obwohl „nicht sehr reich“. Auf sein Erbe ist er so stolz, als wäre es seine eigene Leistung.

*

Meine Friseurin findet, dass es wichtig ist, die Kunden zu unterhalten. Jetzt beginnt die Urlaubssaison, also fragt sie nach den Reisezielen. Sie sei ja jedes Jahr nach Mallorca gefahren, wo ihre beste Freundin lebt und den Touristen die Haare schneidet. „Aber das kann ich mir nicht mehr leisten.“ Es schwingt keine Empörung mit, dass sie nur den Ecklohn von 880 Euro brutto verdient. Schließlich muss sie ihren Job gegen den neuen Friseurladen von nebenan verteidigen: „Dabei waren wir zuerst hier!“ Das empört. Konkurrenz macht selbst Niedriglöhne wertvoll.

*

Die ARD-Kollegen haben einen sicheren Job und verdienen gut, so denkt man sich das jedenfalls bei der taz. Trotzdem grübelt der Mann vom Fernsehen, ob er wirklich einen Neuwagen braucht. Ihm machen „diese Zeiten“ Angst, „man weiß ja nie“. Nein, doch kein Auto, entscheidet er in der Kneipe. Wieder hat jemand am deutschen Abschwung mitgewirkt.

*

Ein Freund geht sich selbst auf die Nerven. Er gehört zu jenen PR-Regimentern, die die rot-grüne Politik verkaufen sollen. „Hätten wir eine CDU-Regierung, wäre die Lage genauso beschissen – aber sie hätten das besser hingekriegt mit der Stimmung.“

*

Neuerdings macht man sich Sorgen um mich. „Warum tust du das?“, fragt eine Freundin, die Anwältin ist. Sie versteht meine taz-Kommentare nicht, versteht nicht, dass ich Schröders Kürzungen ungerecht finde. „Warum vertrittst du Interessen, die sich gar nicht artikulieren?“ Einer Anwältin würde das natürlich nie passieren. „Sieh dich doch um!“ Ich sehe mich um. Wir sitzen in einem Biergarten, grünes Licht träufelt durch die Blätter, es ist früher Abend. An jedem Tisch lehnen mindestens zwei Aktentaschen, und ihre Besitzer wirken alle, als würden sie sich von anstrengenden Jobs erholen. „Wo sind denn deine armen Arbeitslosen?“ – „Hier bestimmt nicht“, antworte ich pampig. Schließlich kostet ein Glas Wein gleich vier Euro. „Und wo sind sie dann?“ Die Frage ist leider nicht doof. Arbeitslose tauchen nur in der Statistik auf und warten auf den Fluren der Behörden. Aber sonst sind sie nirgends zu sehen. Selbst das Demonstrieren übernehmen vor allem ihre beschäftigten Kollegen.

*

Eine andere Freundin hat mehr Verständnis: „Als ich im Studium noch nicht wusste, was aus mir werden sollte, da hatte ich auch solche linken Positionen wie du.“ Wir sind übrigens gleich alt, beide berufstätig, trotzdem bin ich eine Jugendliche für sie. Erwachsene wissen eben, dass nur Ungerechtigkeit gerecht ist.

Anmerkungen zur Gerechtigkeit?kolumne@taz.de