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Archiv-Artikel

ulrike herrmann über Non-Profit Knistertrottel kommen. Rette sich, wer kann

Kleine Typologie der Schlafstörerinnen. Und Ratschläge, wie man ihnen begegnen soll

Da ist es wieder, dieses Rascheln, das sich mit nichts auf der Welt verwechseln lässt. Es ist das Knistern einer Plastiktüte. Knirsch, kurze Pause, knirsch, knirsch. Pause, knirsch. An diesem Geräusch wundert und ärgert so manches. Ich habe schon eine ganze Liste:

1) Plastiktüten sind zwar leicht, aber nicht leise.

2) Die Besitzer von Plastiktüten denken trotzdem, niemand würde ihr Kruschteln hören.

3) Deswegen finden es Besitzer von Plastiktüten völlig normal, um Mitternacht plötzlich anzufangen, ihre Tüten um- und auszupacken.

4) Das tun sie am liebsten in 6-Bett-Zimmern von Jugendherbergen. Oder tun sie es auch woanders? Das frage ich mich manchmal, um mich dann mitternachts entnervt zu erinnern, dass ich die Antwort nicht herausfinden kann. Denn ich würde diese Knister-Trottel nie freiwillig zu Hause besuchen und auch ein intimes 2-Bett-Hotelzimmer würde ich mit diesem tauben Pack nicht teilen. Ich ertrage sie nur in der billigen Zwangsgemeinschaft Jugendherberge.

5) Im Durchschnitt kommt die 6-Bett-Zimmer-Kruschtel-Tante auf etwa sechs Plastiktüten. Mehr gefüllte Beutel passen nämlich nicht in den Durchschnittsrucksack. Allerdings gibt es ja noch das „System Känguru“, das besonders bei Amerikanerinnen beliebt ist: Hinten drückt der große Rucksack, vorn vorm Bauch baumelt das Daypack. Wer sich so zum Überlasttransporter macht, kann es auch auf neun Tüten bringen. Doch ob sechs oder neun Beutel: Die normal ausgeprägte Knisterin schafft es mühelos, ihre wenigen Tüten so oft umzufüllen, dass sie ab Mitternacht den Raum etwa eine Stunde lang beschallen kann. Und wenn das nicht reicht, dann geht sie zwischendurch noch mehrmals zum Bad, das stets begleitet wird von einem geflüsterten „Sorry“ (nicht englischsprachig) oder „I am ever so sorry“ (englischsprachig).

6) Ohropax hilft nicht, das habe ich schon zu häufig ausprobiert. Überhaupt sollte man die Plastiktüte an Stiftung Warentest weiterempfehlen als billiges Testgerät, um die Qualität von Ohrenschützern aller Art zu begutachten. Hätte ich nachts in der Jugendherberge einen Motorradhelm zur Hand, dann würde ich noch vor Ort testen, wie Plastik gegen Plastik abschneidet. Und falls die Monsterhaube siegt, wäre ich sogar bereit, die Testphase auszuweiten und zu ermitteln, wie es sich mit einem Motorradhelm auf dem Kopfkissen schläft.

7) Ich finde, Nick Hornby sollte sich des Knistersounds annehmen und eine seiner Listen erstellen. Das erkenntnisleitende Interesse müsste lauten: Welche Nationalität bringt die meisten und fähigsten Jugendherbergsraschlerinnnen hervor? Ich wäre nur zu gern bereit, empirische Daten zur Verfügung zu stellen. Meine aktuelle Hitliste führen momentan die Japanerinnen an; danach kommen die Polinnen und Australierinnen. Aber auch Costaricanerinnen sind nicht schlecht im nächtlichen Dauerumpacken.

Spätestens bei diesem Punkt 7 ist meine Geduld erschöpft, das ist etwa Minute 10 nach Mitternacht. Es folgt die Phase der Tat. Leise schleiche ich mich von hinten an die Kruschtlerin heran, ich will die anderen ja nicht wecken, die erstaunlicherweise fast immer bei diesem Plastiklärm schlafen können. Meist muss ich gar nichts sagen, mich nur über mein kauerndes Opfer beugen, da drehen sich die Knister-Expertinnen schon. Sie scheinen zu verstehen, dass ich wütend bin. „Sorry“, flüstern sie oder „Ever so sorry“. Früher bin ich dann wieder ins Bett zurückgeschlichen, aber jetzt bleibe ich gleich vor Ort, neben dem fremden Gepäck. Denn nach langjähriger Erfahrung weiß ich, was als Nächstes kommt: Die Kruschtlerin wendet sich wieder ab, bückt sich erneut hinunter zu ihrem Rucksack – und wühlt weiter in ihren Plastiktüten!

Früher war ich gerührt, dass sie mein Problem zwar nicht verstehen, sich netterweise aber schon einmal vorauseilend entschuldigen. Doch diese Dankbarkeit ist längst vorbei. Die Welt ist dazu da, sie zu verändern. Wenn gar kein Argument mehr hilft („You are noisy!“ – „Noisy?!“), werden die Plastiktüten eben nach draußen vor die Tür gepflanzt. Auf dem Flur kann man auch schön packen. Dass es Millionen von raschelnden Jugendherbergsgästinnen gibt, darf kein Grund sein, nicht wenigstens eine von ihnen zu erziehen. Das führt gelegentlich zum Streit und – leider – ist die Solidarität der anderen Knisteropfer nicht sehr ausgeprägt. Auch diesmal, klassisch, meldete sich eine Stimme aus einem der vielen Doppelstockbetten: „Könnt ihr nicht endlich mal leise sein?“

Fragen zu Jugendherbergen?kolumne@taz.de